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KLINGEMANNS NACHTWACHEN. VON BONAVENTURA. –  ALS STUDENT IN JENA 

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Mit Klingemanns Studium in Jena hat sich unsere Untersuchung fürs erste geschlossen. Die spärlichen Spuren der drei Jenaer Jahre wären bei ande­rer Gelegenheit einmal zu verfolgen, scheint doch die Rolle des Studenten längst nicht so trabantenhaft gewesen zu sein, wie bislang angenommen. So überliefert er später eine Bemerkung, die ihm A.W. Schlegel 1799 über Ifflands Spiel gemacht hätte, erwähnt außer der Bekanntschaft mit Schiller und Kotzebue auch Eindrücke von einer Jenaer Abendgesellschaft bei A.W. Schlegel, aus dessen »Hamlet«-Übersetzung Tieck damals vorgelesen ha­be.233) Noch ungeklärt sind vor allem seine Verbindungen zu Christian Vulpius, zu Wielands Sohn Ludwig und Charlotte Buffs Sohn Kestner; auch über seinen Verkehr im Hause des Kantianers und Professors der Poesie und Beredsamkeit Christian Gottfried Schütz sowie über dessen Liebhaber­büh­ne wüßte man gern mehr. Mit Schauspielern war er schon damals so vertraut, daß er in Jena ein bewegendes Begräbnis des im Februar 1800 verstorbenen Komödianten und Bassisten Heinrich Friedrich Mädel besorgte, der 1797 in den Braunschweiger Aufführungen von Klingemanns Trauer­spiel »Die Maske« mitgewirkt und dort auch Regie geführt hatte.234)

    Noch am besten dokumentiert ist seine Zugehörigkeit zum Literatenkreis um den ein Jahr jüngeren Clemens Brentano, obgleich August Klingemann selber sich nur flüchtig über Brentano und »unser originelles Zusammenleben in Jena« geäußert hat.235) Immerhin hatte er aus dem Jahre 1798 ein 

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233 Kunst und Natur, a.a.O. Bd. 1, S. 463ff. bzw. S. 39f.

234  Fritz Hartmann, a.a.O. (Fußnote 196), S. 254f.; vgl. ferner den Zettel in der Theaterzettel-Sammlung des Braunschweiger Stadtarchivs (HXA: Bd. 3, Nr. 79, vom 19.8.1797). Zu Mädel vgl. Klingemann in Kunst und Natur, a.a.O. Bd. 2, S. 485 sowie das von J. Ch. J. Spangenberg hg. Hand­buch der in Jena ... dahingeschiedenen Gelehrten, Künstler, Studenten und andern bemerkenswerten Personen ... (Jena 1819), S. 32

235  Kunst und Natur, a.a.O. Bd. 1, S. 414 .

 Postskriptum Januar 2019

 

Im Mai 1798 als Jurastudent immatrikuliert, bezog Klingemann eine Wohnung im »Döderleinschen Hause« in der Leutragasse 5 – in dem später so genannten »Romantikerhaus«, dessen Hintergebäude seit 1796 August Wilhelm Schlegel mit Caroline und seit Ende 1799 auch Friedrich Schlegel mit Dorothea Veit bewohnten. Im Auditorium dieses Professorenhauses hielt August Wilhelm im WS 1798/99 seine Vorlesungen zur Ästhetik (vgl. die Studie von Peer Kösling).

    Kaum eine Fußminute entfernt lag Klingemanns zweite Wohnung im Hause des Kantianers und Professors der Poesie und Beredsamkeit Christian Gottfried Schütz, auf dessen Liebhaberbühne nach Hugo Burath am 16. Juli 1800 Die Maske (1797) von Klingemann gezeigt werden sollte. Burath bezieht sich dabei auf eine Stelle in Brentanos Brief vom Juli 1800 an den in Jena wohnenden August Winkelmann (ich zitiere nach Ingeborg Schnack, Der Briefwechsel zwischen Friedrich Carl von Savigny und Stephan August Winkelmann (1800-1804) mit Dokumenten und Briefen aus dem Freun­des­kreis, Marburg 1984, S. 234):

»Den 16. Juli wird Klingemanns Maske auf dem Liebhabertheater aufgeführt, und mit grosem Aufwand, ich konnte mich nicht entschließen, da mit zu figuriren, weil ich finde daß ich ganz stumm sein müßte – denn ich kann nichts sagen, wobei einer nichts dachte, und Klingemann dachte nur bei den Gedankenstrichen.« Welch hübscher Sarkasmus! Auf diese Gedankenstriche spielt Brentano auch im 1. Band seines zur Jahres­wen­de 1800/01erschienenen Romans Godwi  an, wenn der Lady Hodefield nacheilende Karl Römer in seinem Schreiben an Godwi den Ver­gleich wählt: »... meine Schritte, die, so wie die langen Gedankenstriche in den Ruinen des Schwarzwaldes den guten Einfällen des Verfassers und seiner Tendenz nachlaufen«.

Burath nimmt nun an, dass diese Aufführung in Jena stattfand (a.a.O. S. 60, 217 und 222). Brentano hielt sich freilich seit Ende Juni 1800 in Al­ten­burg auf; Schnack bezieht denn auch Brentanos vage, keinen Spielort nennende Auskunft auf die von den Familien Reichenbach und Pierer ge­tra­gene Liebhaberbühne in Altenburg, fand aber auch keinen konkreten Beleg für diese Vorstellung (Schnack, a.a.O. S. 450).

    Gegen eine Aufführung in Jena jedenfalls sprechen einige für das damalige Theaterleben aufschlussreiche Vorkommnisse. So hatte Goethe, der das Stück des 20-jährigen Jenenser Studenten schon am 8. 9.1797 als Gastspiel des Weimarer Theaters in Rudolstadt aufführen ließ, im März 1799 auf Anordnung von Herzog Carl August die Jenaer Liebhaberbühne im Hause Schütz wegen politisch-akademischer sowie ästhetischer Bedenken schließen lassen und im Dezember 1800 eine geplante Neujahrsvorstellung – listigerweise mit Goethes Singspiel Scherz, List und Rache! – ebenfalls unterbunden (Goethe am 22. 12. 1800 an Anna Henriette Schütz). Klingemann erinnert Schütz im Brief vom 24.10. 1811 an die gemeinsame Jenaer Zeit und und übersendet zugleich dessen Ehefrau Henriette, »die sich meiner vielleicht noch von unserm Theaterproject in Jena, welches damals ein böser Dämon zerstörte«, »als Zeichen jenes unsers Lieblingstreibens« den 2. Band seiner Theater-Reisetagebuchs Kunst und Natur. (In: August Klingemann. Briefwechsel, hg. von Alexander Košenina und Manuel Zink; Göttingen 2018, Nr. 63 und Anm.).

 

Klingemann nahm außerdem an der Neujahrsfeier vom 31.12.1799 teil, die in der Wohnung von Clemens Brentano und Theodor Kestner stattfand. Der Medizinstudent Martin H(e)inrich Lichtenstein war von der Feier im Kreise von ungefähr 15 Studenten so beeindruckt, dass er nach diversen Re­cher­chen 1855 einen ausführlichen Bericht von dieser »poetischen Neujahrs-Nacht« niederschrieb (auszugsweise transkribiert bei Schnack, l.c. S. 289-292 und Anm. S. 496ff.). Ihm zufolge empfing Brentano die Gäste mit einem Exemplar des soeben erschienenen Schillerschen Musenalma­nachs in der Hand und las sodann »mit dem ihm eignen Feuer« das darin abgedruckte Lied von der Glocke vor. Beim Arrakpunsch wurden als wei­te­re »Gastgeschenke« Xenien mit (Doppel-)Distichen verlesen. Brentano nahm in seinem Klingemann gewidmeten Distichon Die Schmiede vor allem dessen Ritterromane und jenes Trauerspiel Die Maske aufs Korn, während Lichtenstein in seinem Bericht noch die »Selbstbildung« Klingemanns und das »spröde« Wesen dieses »schönen Geistes« anspricht. Er erwähnt zudem die Ästhetischen Briefe Klingemanns und ein an diesem Abend von Brentano arrangiertes Transparentbild mit Ritter und Amor als Klingemannsches Doppelsymbol, spötttisch dekoriert mit einigen auch diffamierenden At­tri­buten (Esel als Klingemanns Schauspielpublikum). Von diesem Transparentbild und einem anderen, das Winkelmanns Vielseitigkeit in Gestalt ei­nes windigen, zusammengestückelten Kolosses von Rhodos darstellte, ließ der Gast Nicolaus Meyer später Kupferstiche anfertigen und sie den Teil­nehmern des Abends zum Erinnerungsgeschenk machen. Sie scheinen verschollen zu sein. – Seinen »alten Freund« Lichtenstein besuchte Klinge­mann auf seiner ersten großen Theaterreise 1817 in Berlin; er war dort Professor für Zoologie und gehörte dem Vorstand der von Zelter geleiteten »Singakademie« an, in die er Klingemann dann einführte (vgl. Kunst und Natur, a.a.O. Bd. 1, S. 413f.).

 

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Klingemanns Kernmotiv der Maske über einer Maske!
Illustration von Johann G. Boettger zu dem anonymen schauerromantischen Politdrama »Die Maske« (1797): Schlußszene des 3. Aufzuges

 

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