COLLEGIUM MEDICUM IN BRAUNSCHWEIG UND LEISEWITZ
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Bildquelle: http://de.wikisource.org/wiki/Johann_Anton_Leisewitz
nicht nach Außen wirkt, und sich nur durch geheimes Lächeln, Winken, Zunicken, oder durch andere seltsame Bewegungen und abgerissene, unzusammenhängende Reden äußert. Es ist mir immer unendlich wehe in der Nähe dieser
Armen geworden; indeß jene Rasenden, welche die Eisenstäbe ihrer Käfige schüttelnd, donnernde Flüche und Verwünschungen austoben und wild auflachen, daß es durch die Gewölbe wiederhallt; eben solcher gewaltsamer Kraftäußerungen halber, mich weit minder geängstigt und vielmehr in mir selbst frei gegeben haben. Der eine unter diesen Wüthenden glich, nackt und nur mit einem zerfetzten, Mantelartigen Gewände umhüllt, dem wahnsinnig fluchenden Lear, und schleuderte mir, als ich ihm nahe kam, verhärtete Brodrinden wild entgegen.«182)
Nach der wahnsinnig gewordenen Ophelia, die auf der Bühne »abgerissene Gesänge, wie wunderbare Geistersprüche, hören ließ«183), wird dann auch Kreuzgang ins Irrenhaus eingewiesen und erlebt in Ophelias Sterbenacht den nämlichen emotionalen Kontrast:
»Neben mir auf der einen Seite rasselte ein Wahnsinniger schrecklich mit seinen Ketten, auf der anderen hörte ich Ophelia abgerissene Stücke ihrer Balladen singen, doch wurden die Töne oft Seufzer ...«.
Die Wahnsinnigen um das Lager der soeben Verstorbenen findet er so vor:
»... alle schweigend, aber seltsam gestikulirend und sich gebärdend; einige lächelnd, andere tief nachsinnend, noch andere den Kopf schüttelnd«.
Wie die sanfte Ophelia und jene Gegengestalt des Lear zeigt, war Klingemanns Betroffenheit offenbar tiefgreifend durch die Shakespeare-Rezeption des Sturm und Drang vermittelt worden. Hierfür und für andere Themen der »Nachtwachen« hat kein anderer als Johann Anton Leisewitz (1752-1806), ab 1805 als Geheimer Justizrat Chef jenes Obersanitätskollegiums (des ehemaligen Collegium Medicum), bedeutende Vorarbeiten erbracht. Die Erinnerung an den »hypochondrischen und unzugänglichen Leisewitz«, schreibt Klingemann 1819, »wird mir selbst für immer theuer bleiben, da ich mich in seiner letzten Lebensperiode seiner besondern Theilname zu erfreuen hatte«.184) Er bezieht sich nicht allein auf den Zeitraum 1805/06, als seine Behörde von Leisewitz geleitet wurde. Leisewitz war zuvor viele Jahre mit der Reform des Braunschweiger Armenwesens befaßt; eine Notiz Klingemanns (1828), daß »ich ... längere Zeit in seinem Departement arbeitete, und ihm, da er mir freundlich wohlwollte, so oft persönlich nahe war«, kommentiert Burath mit der wohl triftigen Vermutung, daß Leisewitz, zumal wenn es für die Armenvisitationen Ärzte anzufordern galt, oft mit dem Obersanitätskollegium zusammenarbeitete.185) Auch war Leisewitz um 1802 ein sehr gewissenhaftes Mitglied in vier Deputationen, darunter in der Medizinal- und Registraturdeputation186). Klingemanns Freundschaft mit August Winkelmann, dem Neffen von Leisewitz, deutet auf eine noch frühere Bekanntschaft mit dem Dichter hin.187)
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182 Kunst und Natur, a.a.O. (Fußnote 23), Bd. 1, S. 355f. 183 14. Nachtwache, a.a.O., S. 158 u. 170
184 Kunst und Natur, a.a.O., Bd. 1, S. 180f. 185 Kunst und Natur, a.a.O. Bd. 3, S. 54 bzw. Burath, a.a.O. (Fußnote 84), S. 35
186 Jahrb. des Geschichtsvereins für das Herzogtum Braunschweig (Wolfenbüttel), Jg. 1905, S. 50ff.
187 Leisewitz. Tagebücher, hg. v. H. Mack u. J. Lochner (2 Bde, Weimar 1916/20), Bd. 2, s. Register S. 381
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