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IV. LITERARBIOGRAPHISCHE ANNÄHERUNGEN: BONAVENTURAS
JUGEND IN BRAUNSCHWEIG
»Klingemann hinterließ uns keinerlei Nachrichten über Elternhaus und Erziehung, über Liebe und Freundschaft seiner Jugendtage, über seine Beziehungen zu Campe und dessen Freunden«, hatte Hugo Burath 1948 zu konstatieren.84) Er versuchte darum, in weithin indirekter Darstellung, das kulturelle Ambiente jener Zeit nachzustellen und als Hohlform für Klingemanns Werdegang zu nutzen. Manchen seiner Angaben, insbesondere den Lebensdaten, die er in 17jähriger Arbeit recherchierte, werde ich in dem biographischen Abriss folgen, so manches andere war erst herauszubringen. Gegenüber Burath freilich war ich dabei in dem heuristischen Vorteil, in der biographischen Rekonstruktion mich Klingemann als dem Verfasser der »Nachtwachen« und der spezifischen intellektuellen Leidenschaft seines Werks widmen zu können.
Die statistische und philologische Beweisführung der Verfasserschaft betrachte ich als abgeschlossen und werde mir im Folgenden erlauben, in gewagterer freier Kombination auch auf die Spuren einzugehen, die in den »Nachtwachen« auf die Heimatstadt Bonaventuras hindeuten. Betone aber schon jetzt, daß Klingemanns poetisches Ingenium keine handgreiflichen Umsetzungen zuließ und selbst die lebhaftesten (noch kenntlichen) Eindrücke aus Kindertagen lebensgeschichtlich und literarisch wieder und wieder durch Deutungen überlagert wurden, so daß wir zu ihnen und vielen anderen wesentlichen Motiven der »Nachtwachen« palimpsestartig tieferliegende Versionen auszumachen haben. Noch das Bild des Palimpsests ist eine Vereinfachung, in der literarbiographischen Forschung liegt nicht wie bei den Handschriften eine ältere eigene Sinn- oder Lebensschicht halbwegs entzifferbar oder gar wohlkonserviert und abgeschlossen vor, sondern laufend ist hier von Zeitverschiebungen auszugehen, davon etwa, daß eine biographisch früheste und insofern vorbildliche Erfahrung schon längst nicht mehr das entscheidende künstlerische Vorbild für die »Nachtwachen«-Stelle gewesen war, dieses vielmehr zwischenzeitlich und besonders in den besprochenen Werken nach 1800 bei Klingemann erste und schon emanzipierte Gestalt fand. Auch wird es vorkommen, daß ein frühes biographisches Motiv selbst bei dem 26jährigen Verfasser der »Nachtwachen« eben nur andeutungsweise
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84 Hugo Burath, August Klingemann und die Deutsche Romantik (Braunschweig 1948), S. 20f.
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