ALS STUDENT IN JENA
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werbendes Schreiben Brentanos an ihn aufbewahrt: Neben »gewißen Kenntnißen« suchte dieser »den Umgang eines Menschen, der mich übersieht ohne auf mich herabzusehen«236) <...>
Erinnern schon diese wenigen Züge an Romanos besondere Aufgeschlossenheit für das Fremde und seine Kritik des Aufsehen erregenden »Originalen«, so wird dies kenntlicher noch in einem – für uns wunderbar hellsichtigen – Urteil des mit Klingemann und Brentano befreundeten Arztes, Philosophen und Dichters Stephan August Winkelmann. In der fragmentarischen Fortsetzung von Brentanos alias »Marias« »verwildertem Roman« »Godwi« (1801), in den »Nachrichten von den Lebensumständen des verstorbenen Maria«, charakterisiert er Klingemann so:
»Trefflicher Spiegel Deines Zeitalters! Dich weckte schon in früher Jugend der Genius, mit versteckten Erfindungen dem Irrthume zu begegnen – was Du geschrieben, ist eine stille Persiflage der herrschenden Schwäche – mit kluger Mäßigung verhüllst Du Dein Vorhaben und Deine Originalität – Viele sind Dir begegnet, ohne Dich zu erkennen – unbesonnene Kritiker tadeln Deine Werke, die sie dem Aeußern nach beurtheilen – die Nachwelt wird Dir danken!«237)
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236 Vgl. Paul Zimmermann, Aus den Briefschaften August Klingemanns. In: Braunschweigisches Magazin 1923 (Nr. 2), Sp. 20f. – Wiederabdruck des Briefes bei Burath (a.a.O. S. 320f.) sowie in: Clemens Brentano. Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 29, Briefe I (hg. v. Lieselotte Kinskofer, Stuttgart 1988), S. 144-146.
237 Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter. Ein verwilderter Roman von Maria (1800/01). Neu hg. v. Werner Bellmann in: Clemens Brentano. Sämtliche Werke und Schriften. Hist.-krit. Ausg. (Stuttgart 1978), S. 565
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Postskript Januar 2019 zu Brentanos Schreiben an Klingemann:
Hugo Burath kommentiert das Verhältnis der drei Jenaer Studenten wie folgt: »Brentanos Wirbelköpfigkeit riß den dumpferen, aber sensibleren Winkelmann unwiderstehlich hin; sie mochte sich von Klingemanns überlegener … Gradlinigkeit beherrscht und gedämpft fühlen. Tatsächlich fanden sich bald alle drei in freundschaftlicher Zusammenarbeit an der von Klingemann geleiteten Zeitschrift Memnon. Wir begegnen den drei Freunden auf Wielands Gut, dem ‚Osmantinum' … Klingemann wurde bei Wieland durch dessen Sohn Ludwig eingeführt.« (Burath, a.a.O. S. 57)
Anfang November 1801 versucht Brentano den gerade erst 24-Jährigen als Regisseur in Frankfurt/M. zu etablieren, indem er ihn durch Winkelmann auffordern läßt, daß er »sich mit einem ... Briefe zum Regisseur melde ... auch sein Selbstgefühl als Dichterprobe beilege ... die Anarchie und das Seufzen nach einem Regisseur ist zu groß ... er kann auch schnell einen Bogen über Theaterführung schreiben und beilegen ... du sollst an Herrn Moritz Bethmann ihn sehr empfehlen, handle für diesen ... tauglichen Freund blindlings wie ich sage, er wird uns dadurch ein Mächtiger Arm für die Kunst.« (Clemens Brentano. Sämtliche Werke und Briefe, a.a.O. Bd. 29, S. 38.) Winkelmann antwortet bald: »An Klingemann habe ich sogleich geschrieben, was du mir schriebst. Es war dein Auftrag, aber mir, soweit ich Klingemann kenne, gar nicht recht.« Und berichtet gleichwohl Anfang Dezember 1801: »Klingemann dankt dir und will nach Frankfurt schreiben oder hat schon geschrieben.« (Schnack, a.a.O. S. 246, Briefe Nr. 141f.) Literarisches Ergebnis dieser Bewerbung ist Klingemanns 1802 in Leipzig erschienene Schrift Was für Grundsätze müssen eine Theaterdirection bei der Auswahl der aufzuführenen Stücke leiten?
Brentano, der sich 1801 auch für Ludwig Tieck als Regisseur einsetzte, blieb freilich in kritischer Distanz zu Klingemann und schrieb so einem ungenannten Freund: »Klingemann ist ein Geistiger Mechanikus, der unendlich aber nicht unbeschreiblich ist, seine kunst ist mehr Astronomie, als Poesie der Sternbilder, Er wird die Seelen und ihre Sphären, und ihre Gluth nach angenommenen Systemen berechnen ...« (Brief vermutlich vom Dezember 1801; in: Sämtliche Werke und Briefe, a.a.O. Bd. 29, S. 396; vgl. ebd. S. 548 und S. 551).
Klingemann wiederum zitiert in Erinnerung an den Anblick der Moldau vom Prager Hradschin her aus Brentanos Drama Die Gründung Prags die Stanze ›Sieh auf dem Schloß...‹ (»Durch Siegesbogen lobsingt laut die Welle:/ Prag, Prag, du meines Heils umpalmte Schwelle!«) und fügt recht boshaft, in abgestimmter Bildhaftigkeit hinzu, dass Brentanos »ächt dichterisches Talent recht eigentlich in den Wogen seiner unbeherrschten Phantasie untergegangen ist ...« (Kunst und Natur, a.a.O. Bd. 2, 1821, S. 67).
Postskript Januar 2019 zu August Winkelmann:
Im Gegenzug auf Winkelmanns Lobrede preist Klingemann in dem Sonett Zueignung an August Winkelmann, das er 1801 dem zweiten Teil seines Romano voranstellt, das »stille Glück« ihrer frühen Freundschaft.
Beide waren Schüler am Braunschweiger Collegium Carolinum und erhielten dort in ihren letzten Jahren eine Professur. Winkelmann freilich wurde dort bereits 1803 mit Dreiundzwanzig »Lehrer der Anthropologie« und zugleich Professor für Physiologie am Anatomisch-Chirurgischen-Institut; schon 1806 verstarb er an Typhus. Vgl. die bewegende biographische Studie von Ingeborg Schnack im Braunschweigischen Jahrbuch 1987 (S. 83-112) sowie ihre kommentierte Ausgabe der Freundesbriefe (Quelle auf S. 103).
Sein bedeutendstes dichterisches Werk ist der oben genannte Beitrag zu Brentanos Godwi. Brentano hat gleichwohl auch Winkelmann nach dem Bruch ihrer Freundschaft mit gelegentlich hämischem Spott überzogen und so im Schreiben vom 9. 6. 1806 an Friedrich Carl von Savigny den frühen Tod mit den Worten kommentiert: »Sie wissen es doch, das diese schönspielende Seifenblase ... dieser leere Thron-, Triumph- und Leichenwagen seiner eignen Jugend und Pläne, an dem er sich selbst zu Tode herumschleppte, untergegangen ist, hic Rhodus, hic salta. Wie ruhmlos und still ist Winkelmann gestorben ... « (Schnack, Briefwechsel, a.a.O. S. 85). 'Rhodus' ist eine Reminiszenz an Brentanos Transparentbild des Kolosses zu Rhodos, mit dem er Winkelmann satirisch charakterisierte.
Brentanos Freund Achim von Arnim, ebenfalls mit Winkelmann befreundet, schätzte neben dessen Nachrichten von den Lebensumständen des verstorbenen Maria (im Godwi) vor allem naturwissenschaftliche Studien wie die Einleitung in die dynamische Physiologie (1803) sowie sein Projekt einer deutschen Kranken- und Armenpflege. Arnim bewahrte zudem Winkelmanns Nachlass auf Schloss Wiepersdorf auf (wo er wohl in den Nachkriegswirren 1945 verlorenging).
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