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LITERARISCHER VAMPIRISMUS. KLINGEMANNS NACHTWACHEN. VON BONAVENTURA 

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Diese Wiedergutmachung eines Braunschweigers an seinem Dichterkollegen hat den gebührenden polemischen Witz und ergreift durch die ungewöhnlichen Euphemismen, die der bekannten Untersuchung über den Tod bei den Alten huldigen; sie erfüllen Lessings Wunsch (am Ende der Schrift), der Künstler möge anstelle des scheußlichen Gerippes wieder den Schlaf als Sinnbild verwenden: Der Freidenker, schreibt Kreuzgang, gedenke »den traumlosen Schlaf auf immer zu schlafen«; »er entschlief liebend im Arm der Liebe«; »das schöne Weib hielt den blassen Geliebten still in ihren Armen, wie einen Schlummernden ... glaubte, daß ihn der Schlaf zum neuen Leben stärken werde - ein holder Glaube, der im höhern Sinne sie nicht täuschte ... Die Szene war zu schön; ich wandte mich weg, um den Augenblick nicht zu schauen, in dem die Täuschung schwände. Mit gedämpfter Stimme sang ich einen Sterbegesang unter dem Fenster, um in dem noch hörenden Ohre den Feuerruf des Mönchs durch leise Töne zu verdrängen ... die Muse des Ge­sanges ist die mystische Schwester, die zum Himmel zeigt205) Gegen Ende seines Gesanges »Die Religion«, den Les­sing den Zweifeln am Göttlichen gewidmet hat, kommt er auch zu Klopstocks »Messias«, dem »ewigen Gesang

                                             »Durch den der deutsche Ton zuerst in Himmel drang

                                             In Himmel frommer Wahn! Gott Geister ewig Leben

                                             Vielleicht ein leerer Ton den Dichter kühn zu heben!  

                                             < ... > dies neue Lied zu schön um wahr zu sein«.206)

 

Das wäre wahrlich hochherzig, nobel wie Lessing gegenüber den Atheisten seiner Zeit, den fragmentarisch gebliebenen »Gesang« in der Todesstunde durch den angehenden Atheisten Kreuzgang so zu ergänzen, Lessings Glaubensbe­kenntnis dadurch Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, daß Kreuzgang den Verstorbenen lächeln sieht »in seinem fe­sten Schlafe«, über den Pfaffen »oder über seinen eignen thörichten Wahn, den das Jenseits widerlegt hatte« (2. Nachtwache). Mit dem Anachronistischen dieses Motivs und dieser Anfangsnachtwachen überhaupt kann man sich so versöhnen. Wie kein anderes Textstück Klingemanns nehmen sie früheste dunkelste Erlebnisse in Braunschweig auf, die ihn literarisch lange rebellisch gehalten haben.207)

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205  1. Nachtwache, a.a.O., S. 11-16

206   Lessing, Werke, a.a.O. (Fußnote 197), Bd. 1, S. 179 (Das Fragment erschien 1751 zum ersten Mal im Druck.)

207  Die Anspielungen auf Lessings Person sind wohl noch kunstvoller gesetzt. »Die Rosen des Lebens sind von seinen Wan­gen abgefallen, aber sie blühen rund um ihn auf den Gesichtern dreier holder Knaben.« (1. Nachtwache, a.a.O., S. 11). Heu­te noch ge­hört es mit­unter zum Ritual der Trauerloge, daß der Meister vom Stuhl »drei Rosen als Symbol der Weis­heit, Schön­heit und Stär­ke« nie­der­legt (Frei­maurer in Deutschland, a.a.O., Fußnote 169), S. 16f.). Les­sing war ja au­ßerdem einst Mit­glied der Lo­ge »Zu den drei (goldenen) Rosen«.


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