dem
höhnischen Kompliment: »Den Idealismus wie vieler Philosophen hast
du auf diesen deinen Realismus zurückgeführt?« die Spitze
gegen die Erhöhung des Todes im Namen von Vernunft und Glauben
(Fichte: »Tod und Geburt ist bloß das Ringen des Lebens mit sich
selbst, um sich stets verklärter und ihm selbst ähnlicher
darzustellen«)57).
Wie gegen solches Ringen die
hyperbolische Titulierung des Leichenwurms als »Laokoons Schlange«,
die »alles umwindet«.58)
Die
sich steigernden Etappen der letzten Nachtwachen sind im Lichte
dieses nihilistisch formulierten Protestes neu zu interpretieren, als
tastende oder entschlossene Versuche,
der natürlichen Sterblichkeit des Menschen über eine
»künstliche« Lebensform zu entkommen oder sie ihr abzutrotzen, wie
lächerlich und eitel auch immer: ob
in dem fetischistischen Jagen nach den Genieattributen der
»Unsterblichkeit«, dem täuschenden Auflebenlassen der Statuen
bei Fackelglanz, dem experimentierenden Eingreifen des »zweiten
Schöpfers« Shakespeare in ein Menschenleben oder zuletzt in
dem poetischen Erweckungsritual, das den finsteren Beschwörungen des
Todes folgte. Selbst die wie beiläufig in den »Nachtwachen«
verstreuten Appelle
an eine »Übersetzung« des Menschen erscheinen
nunmehr bedenkenswerter, so in der 4. Nachtwache das noch unter
idealistischem Vorzeichen stehende Aperçu,
»als ob das
Leben das Höchste wäre, und nicht vielmehr der Mensch, der doch
weiter geht als das Leben«, so auch dann Hanswursts
Drängen auf eine »Revision des Menschengeschlechts«.
Zu denken ist ferner an den wie seelsorgerischen Skrupel Kreuzgangs,
ob am Jüngsten Tage die verpfuschte Geschichte noch »in eine höhere
Sprache zu übersetzen« wäre (6. Nachtwache), wobei in der 13.
Nachtwache an Gottes Stelle »Mutter Natur« gerückt ist, deren
unglückliches, letztes und unfertiges Geschöpf »Mensch« das Buch
zuschlagen solle, »bis der Dichter bei Laune ist, die leeren
Blätter ... vollzuschreiben«. Schließlich wird Kreuzgangs
Befürchtung, man könnte nach einem Jahrtausend »die Ärzte
als schädliche Mitglieder des Staates ausreuten, weil sie das Mittel
gegen den Tod aufgefunden« (8. Nachtwache), in der erbitterten
Emphase gerade jetzt, zum Abschluß der »Nachtwachen«,
verständlicher, als ihn der Anblick des wie mumifizierten Vaters so
außer sich bringen wird. <
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57
Fichte, Die
Bestimmung des Menschen (1800),
a.a.O. (Fußnote 46), S. 153f.
Postskript
2014) Auch
Thomas Böning hat inzwischen in seiner Habilitationsschrift von 1996
die Relevanz Fichtes für die Nachtwachen
untersucht: »Wie ich zeigen werde,
sind ganze Passagen in Bonaventuras Text aus Fichtes
populärwissenschaftlicher Schrift Die
Bestimmung des Menschen vom
Jahre 1800 entnommen.« In: Widersprüche:
Zu den 'Nachtwachen von Bonaventura' und zur Theoriedebatte
(Freiburg/Br. 1996), S. 100.
58
16. Nachtwache, a.a.O.,
S. 195. –
»Laokoonsschlange«
(Schreibung!) ist bei Klingemann noch einmal 1819 nachzuweisen, auch
hier hyperbolisch für den Tod: Die Darstellerin der sterbenden
Cleopatra »rang
wild mit der sie umwindenden Laokoonsschlange« (»sich im
Todeskampfe windend«,
wie er auch formuliert); in: Kunst
und Natur,
a.a.O. (s. Fußnote 23), Bd. 1, S. 339f.
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