VON DER SOZIALSATIRE ZUR (PHILOSOPHISCHEN) SELBSTKRITIK
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Rechts: Auszug aus dem Vorabdruck der später unter dem Titel ›Freimüthigkeiten‹
erschienenen Satire Klingemanns. Quelle: ›Zeitung für die elegante Welt‹
(1803, Nr. 45 vom 14.4.)
den
»Wunderkind«-Jahren und der Desillusionierung am Grabe des
Schwarzkünstlers. Jetzt
eigentlich erst kommt der Erzähler zu den schweren
Selbstverfremdungen der Hauptfigur.
Sie kündigen sich in der
Leichenrede zum Geburtstag des Stiefbruders an, wo Freude
und Schmerz vom Individuum abgetrennt gedacht, zu Leichenwürmern
des Lebens selbst erklärt werden, bis endlich die Leichenträger die
Freuden des einzelnen »und ihn selbst« hinwegführen könnten.
Das »und« zeigt blitzartig die Selbstzerstörung auf
Kreuzgangs weiteren Stationen von Narrenhaus und Klostergang auf; und
bei diesem Verlust des fraglosen »Selbst« läßt sich dann nicht
mehr mit Begriffen der Transzendentalphilosophie so spaßen und
kokettieren wie etwa in der 6. Nachtwache, wo Raum und Zeit als
Gegenkategorien zur Unsterblichkeit aufgeboten werden. Hier
schon mißlingt die Selbstverteidigung mit der
spielerisch-kopfverdrehenden Argumentation, den
Richtern mehr praktische Kompetenz abzuverlangen und zugleich doch
die eigene Tat als poetisch-moralische gleich doppelt jeder
Rechtssprechung zu entziehen. Das Richterspielen soll
sich denkbar verkehren.
Wohlgemerkt,
immer ist hier von der Konsequenz in der Niederschrift der
Nachtwachen die Rede und nicht schon in der dem Leser vorliegenden
Biographie Kreuzgangs. Mit der Rekonstruktion des Schreibprozesses
haben wir allerdings die Chance zu verfolgen, wie Klingemann schritt-
oder sprungweise zu einer Selbstkritik vorstößt, die in der Frage
nach Wesen und Bestimmung des Menschen den metaphysischen
Skandal nicht scheut. Die
bis hierhin vorherrschenden Sozialsatiren sind Durchgangsstationen
schon
deshalb, weil die Angriffslust des Satirikers ja immer noch ein gut
Stück Glauben an die Reaktionsfähigkeit seiner Opfer
voraussetzt. Gegenüber den Anfangsnachtwachen hat sich allerdings
einiges verschoben. Am besten läßt es sich im Vergleich mit
der Konstruktion der »Freimüthigkeiten«
erfassen,
wo Hanswurst im Parterre um seine theatralische Wiedererstehung
kämpft, während auf der Bühne selber der Dichtergott Apoll,
zusammen mit Amor von Merkel eingefangen, für ein im Kotzebueschen
Geschmack zu verfertigendes Lustspiel Dienst tun soll und dafür
gehörig zurechtgestutzt werden muß. Harlekin, der mit Prisen seines
desillusionierenden Nieswurzes wider Willen lachen macht und für das
Lächerliche die Augen öffnet, hat es nur mit durchschnittlichen
Vertretern des zeitgenössischen Publikums zu tun, zieht sich
dabei recht gut aus der Affäre, greift aber nicht in die Hauptszene
ein. Das hat sich geändert; Kreuzgang
ist der Hanswurst-Rolle der Anfangsnachtwachen gewissermaßen
entschlüpft und auf die Bühne gesprungen.
Dabei
setzt er sich
genau
den Verfolgungspraktiken aus, die
von Merkel an Apoll ausgeübt wurden; nicht nur werden ihm die
poetischen Attribute abgesprochen (6. Nachtwache), sondern auch
Merkels Androhung in den »Freimüthigkeiten«,
man habe »jetzt die Injurienklage
gegen
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