LITERARISCHER VAMPIRISMUS. KLINGEMANNS ›NACHTWACHEN. VON BONAVENTURA‹
_________________________________________________________________________________________
Bildquelle: http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10112423_00006.html
Später, als sich Alessandros Mittel-zum-Zweck-Strategie mehr und mehr als ein Fehlschlag herausstellt:
» ... es ist die tote schreckliche Stille die über ein Land herscht, das die Pest entvölkerte! ... Was ist doch der Mensch? ... Um ihn erhebt sich eine Welt, und er sezt sich zum Herrn dieser Welt. Eigenmächtig trägt er in sie hinein was ihm beliebt und glaubt in diesem bunten Spiegel sich selbst zu bestaunen! - Sein Gott ist ein Werk seiner Hände – ein zerbrechlicher Göze, dem er zu dienen glaubt, wenn er sich selbst nur dient ... Der Fleck worauf ich stehe ist nicht gut! Ich grause vor mir selbst! – (er sieht auf und erschrickt.) Die Nacht bricht ein; es ist außer mir und in mir dunkel geworden«.224)
»(Alessandro sizt unter einem Felsen und bläst die Flöte – nach einer kurzen Pause fährt er wild auf und zerschmettert das Instrument am Felsen.) Fort mit Dir! Du lügst eine Harmonie ... Es hat sich vor meinen Blikken verschlossen!
Meine Wünsche sind Wahnsinn! – Ich selbst kann mir nur Gott seyn, wenn ich an die Gotheit glauben soll! – Da ist es, wo ich mich verlohren habe und nichts kann mich retten – Wozu ordnet sich denn dis Ganze zusammen? Nur damit der Mensch dahin krieche wie das Thier, und die Erde mit seiner Gattung erfülle? Die Natur wolte ein Geschöpf mehr haben das sich nähre und mäste, geboren werde und sterbe! und konte sie mehr geben, als sie selbst hatte? – in der Natur ist die Freiheit nicht zu Hause; konte sie das Unsterbliche hervorbringen?«225)
Und dann, ehe Alessandro auf einem Maskenball den tyrannischen Herzog Gerardino erdolcht:
»Mitternacht. (Er liegt vor einem Krucifixe auf den Knieen und scheint zu beten.) ... Umsonst! So wie es aus dem Herzen komt, so kehrt es wieder in das Herz zurück und der leere Schall zerfliegt in der Luft! – Zu wem bete ich denn? Niemand ist da, der mich hört! Kein Ton schlägt mehr in meiner Seele an - ich rufe in den luftleeren Raum und höre meine Stimme nicht ... In mir ist es leer und weit ... ich blikke auf die Ruine einer untergegangenen Welt«.226)
Nach dem großen Vernichtungstraum, der für die 14. Nachtwache zu erörtern war, folgt nun die Schlußszene. In Gedanken an seine Opfer steht Alessandro in schwarzer Nacht auf den Klippen:
»›Verschwunden auf ewig! streut die Asche in den Sturm und der Gedanke ist verweht ... – es giebt keinen der die tausend Thränen zählt die in dem Strome dahin flössen. Horch! es saußt herüber aus der dunkeln Nacht – ihre klagende Stimme schalt durch den Sturm – ihr Haar fliegt im Winde! Armes Mädchen, Dein Gesicht so bleich ...‹ Er schlug nieder mit dem Antlize auf den starren Felsen – der Bliz zischte bei ihm herab und zersprengte die Klippen; ihn traf er nicht – der Sturm wühlte durch sein Haar; er empfand ihn nicht! – Endlich richtete er sich wieder auf und fasste mit den Händen durch die Nacht ! – ›Ha! ich bin allein! – Hört ihrs! Die Erde erbebt in ihren Grundfesten ... und da versinkt's um mich her ... Ich noch allein ... ich versinke!‹ – Von dem Felsen herab stürzte er in die Fluth – hoch thürmte sich die Welle – sie verschlang ihn; hinter ihm her zischte ein Bliz in die Tiefe.«227)
-----------------------------------------------------------------------------------------------------
224 Die Ruinen im Schwarzwalde, a.a.O. Bd. 2, S. 182-186 225 ebd. S. 275-281 226 ebd. S. 312f. 227 ebd. S. 338ff.
- 101 -