DEBAKEL DER »PARALLELEN«-BEWEISFÜHRUNG. BANALISIERUNG DURCH SCHILLEMEIT
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Als
Auswahlverfahren eines Unbekannten aus einem größeren Autorenkreis
ohnehin untauglich und lediglich gegenüber einem anderweitig
irgendwie schon in Verdacht Geratenen einzusetzen, verführt die
Parallelen-Ansammlung anscheinend durch die Kürze ihrer
Zugriffsmöglichkeit, durch die Erwartung, daß im bloßen
Nebeneinanderstellen von ähnlichen oder teilidentischen
Formulierungen als solchem schon, so Zitat für Zitat abrufbar,
jedesmal gleichsam ein Stückchen Identität des Verfassers
repräsentiert und Zug um Zug so komplettiert werden könnte.
Wer so die verwickelte individualgeschichtliche Darstellung zu
vermeiden trachtet, verpaßt beim Identifizieren die entscheidende
Dimension persönlicher Identität, ihre eigentümliche Intelligenz
und Lebendigkeit, die durch Entwicklungssprünge und
Selbstwidersprüche geprägt ist und sich nur so begreifen und
verfolgen läßt. Diese
in sich strittige lebensgeschichtliche Konsequenz kommt
beim Parallelen-Nachweis, der auf Gleichförmigkeit setzt, also gar
nicht erst in Betracht; stattdessen stellt sich ihm Individualität
als etwas Substantiell-Geronnenes dar, das nur als ein sich
Wiederholendes in den sprachlichen Äußerungen sich
identifizieren lasse,
–
ein
methodischer Konservatismus, der ironischerweise einem Schriftsteller
zum Opfer fallen mußte dem wie Bonaventura längst selber schon
derart verdinglichende Auffassungen von Individualität
suspekt geworden waren und der sich ebenso wie gegen modisch
abfragbare Persönlichkeitsattribute (12. Nachtwache) auch
gegen die philosophischen Individualfetische oder
»Selbst«-Konstituierungen seiner Zeit gewandt hatte.
Nun hat auch
Schillemeit einige literarische Charakteristika Klingemanns
beobachtet und einmal gar von seinem »Histrionischen«,
schauspielähnlichen Zitieren gesprochen. Für die Identifizierung
selber jedoch hat er es nicht berücksichtigen können. Wo
jemand laufend in »Parallelen« oder »Entsprechungen«,
»Analogien«, »Anklängen«, gar in »Reflexen«, »Niederschlägen«,
»Spiegelungen« und dergleichen Kategorien denkt, wird, im
Verhältnis der »Nachtwachen«
zu Klingemanns
anderen Arbeiten, schon im Ansatz die literarische Biographie in
ihrer Eigenwilligkeit erstickt;
verkannt wird folglich auch, im Verhältnis Klingemanns zu den
Zeitgenossen, sowohl der belebende Widerstand solcher Anregungen
gegen die eigenen (lebensgeschichtlichen) Verfestigungen
und Selektionen als auch umgekehrt das spontane, spielerische und oft
virtuose Überformen vermeintlicher »Reflexe« oder »Anleihen«.
Dabei könnte man durchaus auch mit der Kategorie »Parallelstelle«
sinnvoll arbeiten; auffallende Ähnlichkeiten, Übereinstimmungen im
Detail
wären als Anstöße (nicht schon als Beweisstücke) aufzunehmen, um
sie vom Denken und Argumentieren des Verfassers her, auf seinem sich
verschiebenden Problemniveau und damit in ihrer gewandelten
Bedeutung, vorzustellen.
Nicht
die Parallelstelle also vermag zu identifizieren, vielmehr ist sie
selber allererst zu identifizieren, ist als Fragment einer
bestimmten Bildungsgeschichte oder schon speziell als
individuelles Stilistikum zu behandeln.
Das individuelle Moment der Verarbeitung wäre am
leichtesten noch dort nachzuweisen, wo jemand Fremdtexte in sein
offizielles Wer integriert und
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