Zufallshorizont,
der sich um jedes Ereignis hätte legen
können und der insofern noch die umhegten Dokumente,
Literaturen und Problemlagen umschließt. So
fügen diese Texte Fontanes oder auch Klingemanns
Nachtwachen
von Bonaventura
(1804), indem sie sich ihren wie auch späteren
Zeitgenossen versagten, der Überlieferung
befreiende Niederlagen zu. Als "gegenzeitige"
Einsichten, die geschichtlich untergetaucht
und aus ihrer Zeitenfolge gelöst worden waren,
überführen sie bei ihrer Entdeckung das
Vergangene und Tradierte als ein
Provisorium, das sich unter Zeitdruck in einem
fort zu verantworten hatte und in seiner
Überforderung selber den Charakter des
Übergangenen annahm.
Mit
dem Stechlin
allerdings, seinem
letzten Roman und Vermächtnis, projektierte Fontane so etwas
wie ein Zueinanderfinden zeitlich
versprengt gebliebener Ereignisse. Ein
großer geschichtlicher Durchbruch schien ihm hier möglich,
falls der Pioniergeist in den gegenwärtigen
Produktivmöglichkeiten wie
Elektrifizierung, Bau von Unterseebooten
und Luftschiffen in Verbindung bleiben
könnte mit den uneingelösten Sagen,
Erfahrungen und stummen Heroismen. Das wäre
der Sinn der Stechlin-Fontäne,
in der über das bloße Sichanzeigen und
Auftauchen zeitgenössisch bedeutsamer
Ereignisse hinaus sich ja etwas Neues im
Zeitverhältnis des Menschen zutragen soll. Im Bilde eines
neuen Lissabon läßt sich dies als
Wiedereintreffen des 1896 in Lissabon zu Grabe
getragenen Poeten und wohltätigen
Kinderfreundes João
de Deus verstehen.
Recht
verstanden, wäre dieses Wiederauftauchen
des schon beigesetzten "Roten Hahns"
wie das Ribbecksche Wiedererstehen ein
irdisches Gegenbild zu dem leeren, auf eine
jenseitige Existenz hindeutenden
christlichen Grab. Und hätte selber insofern
die Qualität einer Transzendenz, als diese
Neubelebung im Zeichen von João de Deus
sich entschieden gegen das "Ich" der
Vergangenheit wendet.68
Nichts Geringeres
als eine Selbstübersetzung des Menschen
wird hier angekündigt.
So hat denn Fontane
in der weiteren poetischen Entwicklung seines Lieblingsverstecks
etliche Bilder gefunden, in denen sein erstes
zeitüberschreitendes Präsenzgefühl wiederaufleben konnte: als
Ribbecksches Überleben im Grabversteck;
als metaphysisch gesteigerte Lebensgier der ihre Opfer versteckt
haltenden Mörder und Totschläger; als Nestversteck
in Grete Minde,
in dem sich schon die Zuflucht zum Mutterleib
abzeichnet, die in Schachs Heimfinden zur mütterlichen
Herkunft als
zeitüberschreitende embryonische
Lebenshaltung eingerichtet wird; und zuletzt als Speicherung
utopischer Lebenszeit und -möglichkeiten in
der Stechlin-Trichterstelle
unter dem Eis der Gegenwart. Proteste und Bilder
gegen den Tod auch
in seinen Ehebruchsromanen, deren
Geheimprozesse den Tod des einzelnen au fond als
kollektives Schicksal deuten.