MERLIN ODER DER ALTE GOETHE
DIE LETZTEN JAHRE (1823-32)
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Diese
Vernichtungsakte,
die zur Konzentration zwingen und gewissermaßen eine negative
Autobiographie darstellen, wehren sicherlich noch
eine andere, von Goethe selbst ausgehende Bedrohung ab, sie
antworten
nämlich auch auf seine expandierende,
weltzugewandte und -erobernde Tendenz,
von der bei den Briefwechseln mit Zelter, Carlyle
und Sternberg schon einiges zu bemerken war.
Betrachten wir nun diese
Welterfahrung in Goethes Gesprächen,
die
hier einzigartig ist, insofern wirklich einmal
der Berg zum Propheten kommen muß:
Die Gespräche werden in seinem hohen Alter
dadurch begünstigt, doppelt, daß Goethe nach
der Böhmenreise 1823 keine größeren
Reisen mehr unternehmen wollte und ihm der Empfang von
Besuchern, wie er gelegentlich erklärt
hat, als Ersatz dafür dienen sollte; zugleich wird es in diesen
Jahren in Europa und auch schon in den Vereinigten
Staaten von Amerika zum Bedürfnis oder nur zur Frage
des Renommees, einmal vor »den größten Herrn
zweier Jahrhunderte«
(so der Schweizer Theologe Schmied 1831) zu
treten, »the wisest man then living«
(so der amerikanische Literarhistoriker
Calvert 1825). Geradezu zur Mode wird es unter
den oft blutjungen Besuchern aus Großbritannien.
In Göttingen studierend oder unterwegs
auf ihrer großen einjährigen Bildungsreise, stellten sie
sich seit 1822 in größerer Zahl in Weimar und in
Ottilies Salon ein, nahmen Deutschstunden bei
Eckermann und lauerten wie der 19jährige Thackeray
auf die Gelegenheit einer Begegnung mit
Goethe selbst. Ein französischer Graf Belisle gar suchte
1828 seiner Brieffreundin dadurch zu
imponieren, daß er ein literarisches Gespräch mit
Goethe fingierte. Was diesen eher amüsierte;
während er sehr leicht den Vorwurf der Indiskretion
erhob, wenn eins dieser Gespräche wie durch
J.-J. Ampère
oder
Fürst Pückler-Muskau veröffentlicht wurde.
Und
doch hat er nur selten sich anmeldende Besucher wegen
dringender Arbeiten nicht empfangen oder wie den politisch ihm
verdächtigen Wit-Dörring kurz abgefertigt.
Zu groß war sein
Erfahrungshunger, der seine Gäste in Erstaunen
und Schrecken versetzen konnte.
Calvert muß ihm ebenso die Modalitäten der
amerikanischen Präsidentenwahl
auseinandersetzen wie 1828 der englische
Arzt Granville über britische Institutionen
Auskunft zu geben hat. Der Maler C. Werner kann
die Weiterreise nicht wie geplant antreten,
weil er Goethe auf Tage seine Zeichenmappe
überlassen muß. Und
wehe den großen Reisenden!
Der Archäologe Parthey fühlt sich 1827 »in
der eingehendsten Weise« examiniert, muß seine Route
stundenlang und Station für Station
rekapitulieren, sein Fachgenosse Stackelberg
wird 1829 über Tage hin »von morgens um 10 Uhr bis gegen
Mitternacht« über seine Expeditionen
und Erfahrungen ausgeholt und der Italienreisende
und Pompejikenner Zahn 1827 gelegentlich
erst nach Mitternacht entlassen: »Er war
unerschöpflich im Fragen und wußte das
Beste und Geheimste aus mir hervorzulocken,
so daß ich oft über mich selbst in Verwunderung
geriet«. Dann und wann sehen wir Goethe auch im
Gespräch mit einer bunten Gruppe von Besuchern
wie am 25.8.1829 mit Quetelet aus Brüssel, David
d'Angers und Pavie aus Paris, Sintenis aus
Gent und den beiden exilierten Polen Mickiewicz
und Odyniec. Wo jemand wie hier Odyniec oder am
30.9.1828
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