GOETHES LETZTES JAHRZEHNT. BRIEFPARTNER
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Aus
Goethes Briefwechsel mit Zelter wurden für den vorliegenden, rund
900 Textdokumente umfassenden Doppelband über 90 Briefe
aufgenommen und damit gerade so viel wie von seinen Brieffreunden S.
Boisserée,
Marianne
und J. J. Willemer, Großherzog Carl August, Amalie v.
Levetzow, Knebel und Graf Reinhard zusammen. Zelter
sei »nie Jüngling gewesen, sondern immer Mann, er schlüge
sich immer durch! Durch Gesellschaften, durch Musik,
durch Theater, durch Essen, durch Trinken«, erklärt
Goethe am 2.8.1828 Luise v. Löw. Fasziniert
und abgestoßen betrachtet er durch Zelters Berichte
das »überlebendige« Berliner
Treiben, das kaum zur Besinnung kommen lasse, die
deutsche Hauptstadt der sich selbst feiernden
»enkomiastischen« Gegenwart,
dieses »veloziferischen« Zeitalters, das
nichts reif werden lasse
und
solch eilfertige, geistesgegenwärtig
sich durchlavierende Begabungen hervorbringe,
wie er sie einmal an seinem Berliner Großneffen
Alfred Nicolovius exemplarisch beschreibt (in
einem unterdrückten und schließlich auf
mehrere Maximen und Reflexionen
verteilten Briefkonzept).
Zelter
nimmt an allem teil, aber als Charakter, der grob die Spreu vom
Weizen trennt, mit scharfem und auch gnadenlosem Witz
Berliner Theateraufführungen, gesellschaftliche und
wissenschaftliche Veranstaltungen für Goethe
begleitet oder uneinsichtigen
Goethe-Verehrern die Leviten liest. Daneben erledigt
er viele Aufträge für ihn, empfängt Weimarer
Besucher zu den Darbietungen seiner ›Singakademie‹,
diskutiert – als gelernter Baumeister – Pläne zum
Wiederaufbau des Weimarer Theaters, vermittelt
Schauspieler nach Weimar und übersendet
Muster für Ofenheizungen, Märkische Rübchen, Irish Bulls oder
eigene Reflexionen über
Aristoteles' Poetik. Goethe vergleicht ihn einmal mit
einer Mühle, »die zu dem Umschwung ihres Räderwerks
Wasser braucht und, damit ihre Steine sich nicht selbst
aufreiben, Weizen die Fülle nötig
hat« (5.10.1830 an Zelter). Und steuert dazu nicht
nur literarische Empfehlungen und Charakteristiken oder
Witterungsbeobachtungen bei,
Beschreibungen der Werke von Leonardo, Rubens oder
Giulio Romano, die er der christlich inspirierten
Gegenwartsmalerei grimmig
entgegenhält, sondern sucht den Freund auch auf
ureigenstem Gebiet auf, macht ihn aufmerksam
auf neuere Musiktheoretiker,
allerdings ohne ihn, der so große Verdienste
um Bach, Händel und Haydn hatte, noch für zeitgenössische
Komponisten recht erwärmen zu können.
Am eklatantesten zeigte sich dies ja in der verständnislosen,
offenbar auch Goethe beeindruckenden Kritik
der Faust-Partitur
von Berlioz.
Das
Prekäre und zugleich Stimulierende ihres seit 1799 bestehenden
Briefwechsels
deutet Goethe öfter dadurch an, daß er ein höher
wirksames »Analogisches« in ihren beiden, unter so
unterschiedlichen Bedingungen ausgeübten
Künsten beschwört. Zweifel daran, Empfindungen
des eher Trennenden äußert er meist nur indirekt wie im
Lob der objektivierenden Notenschrift
oder in seiner Klage über das Ausbleiben eines solchen
Schülers, wie Zelter ihn in Felix
Mendelssohn-Bartholdy gefunden hatte.
Nur selten klingt es so resigniert wie in einem
Konzeptfragment von Mitte Juli 1831: »Ich kann von
deiner Musik nichts hören, du von
meinen Bildern nichts sehen und da müssen wir
denn doch am Ende zu Worten unsre Zuflucht nehmen«.
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