GOETHES LETZTES JAHRZEHNT. GEISTIGE VEREINSAMUNG UND SEKRETIEREN
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zur
Verfügung zu stellen. Sind diese Rücksichten noch
leicht von seiner antipolemischen
Einstellung her zu verstehen, so deutet Goethes
Altersneigung, seine Gedanken und Arbeiten
überhaupt zu verbergen und zurückzuhalten, ja, einfach zu
verstummen, auf jenes tiefere
Lebensgefühl
seiner Unzeitgemäßheit.
»Wenn man in
und für
die Zeit schreibt, ist es gar zu unangenehm, zu
finden, daß man nichts auf sie wirkt«, erläutert er am
17.5.1829 dem Weimarer Kanzler die Aufgabe von Kunst
und Altertum.
Und im Tagebuch vom 13.3.1831 findet sich der Eintrag:
»Wichtige Betrachtungen in's Allgemeine
und Besondere. Frage ob man sie nicht aus dem
Stegreife diktieren und alsdann sekretieren
sollte; was jetzt ganz unnütz zu sagen wäre,
könnte doch einem genialen Nachfolger wie ein altes Glas
Wein zu glücklicher Aufregung dienen.« Er hat
sie nicht
mehr diktiert, so wie er wohl manch kunstkritische
Betrachtung nicht mehr schriftlich ausgeführt hat.
Im
Gegensatz zu Voltaire, der noch kurz vor seinem Tode sein Trauerspiel
Irène
aufführen lassen
wollte, verspüre
er »immer mehr Neigung, das Beste, was ich gemacht und noch
machen kann, zu sekretieren«
(28.6.1830 zu Müller). Genau das macht Goethe dann,
wenn
er Faust
II nicht
mehr zu seinen Lebzeiten veröffentlichen will
und seine Entschlossenheit durch die Geste unterstreicht,
das Manuskript im Sommer 1831 zu »versiegeln«. Ein
Affront, ganz gleich nun, ob die Versiegelung
wörtlich oder (zunächst nur) metaphorisch
aufzufassen ist, als Kriegslist, um dem Drängen der Freunde auf
Mitteilung zu entkommen (vgl. dazu in Bd. 38 die Anm.
zum Brief vom 4.8.<9.>1831 an Zelter). In Briefen an Zelter,
Reinhard und Boisserée begründet er die
postume Veröffentlichung mit der Absicht, das spezifische
Gewicht seiner Nachlaßbände zu erhöhen.
Ein pragmatisches Argument, das er so schon für
die Einschaltung des Helena-Aktes
in die 1. Lieferung der neuen Ausgabe
letzter Hand vorgebracht
hatte. Einen zweiten, inneren Grund pflegt Goethe nur
anzudeuten, wenn er abwechselnd von der
Komplexität dieses Werks und von der Ungunst
der Gegenwart spricht. Wie er den Helena-Akt
als das Schwierigste, was er je geschrieben habe,
betrachtete, so betont er auch bei den später
entstandenen Teilen die Kühnheit von Komposition
und Sprache, das
Rätselhafte und Inkommensurable
dieses Werks, das nur durch hohen Verstand und breite
Welterfahrung zu erschließen sei. Einem
zeitgenössischen Publikum hat er dies
noch nicht zugetraut.
In seinem letzten Brief überhaupt,
dem vom
17.3.1832 an W. v. Humboldt, der ebenfalls gegen den
»grausamen« Akt des Versiegelns protestiert
hatte, führt Goethe seine beiden Vorbehalte in ein
wuchtiges, seine Unerbittlichkeit
bezeugendes Sinnbild zusammen: »Der
Tag aber ist wirklich so absurd und konfus, daß ich
mich überzeuge meine redlichen, lange
verfolgten Bemühungen um dieses
seltsame Gebäu würden schlecht belohnt und
an den Strand getrieben, wie ein Wrack in Trümmern
daliegen und von dem Dünenschutt der Stunden
zunächst überschüttet werden. Verwirrende
Lehre zu verwirrenden Handel waltet
über die Welt, und ich habe nichts angelegentlicher
zu tun als dasjenige was an mir ist und geblieben
ist, wo möglich zu steigern, und, meine
Eigentümlichkeiten zu kohobieren«.