BILDER FONTANES GEGEN DEN TOD. ›UNTERM BIRNBAUM‹. ›QUITT‹
__________________________________________________________
wenn
Hradschecks Ladenjunge Ede bei der Anspielung der Jeschke
(Verwandlung der Malvasier in eine "Franzosenbeer")
vor Schreck die angebissene "nachgereifte" Frucht
fallen läßt und in seinem Grauen sofort
zielstrebig weiter auf den angeblichen Spuk im Keller
gelenkt wird. Zum letzten Schritt: Die Erde gehe vom
Birnbaum schräg zu seinem Keller hin, da könnte der Franzose
wohl "en beten rutscht sinn",20
mit diesen divinatorischen Worten
treibt die Alte zuletzt auch Hradscheck in die Falle, der
beim verzweifelten Versuch, die Leiche in die
Oder zu verbringen, durch ein weggerolltes
Ölfaß in diesem Keller eingesperrt wird. Der
Analogiezauber hat sich erfüllt, wirklich kommt im
Augenblick der Entdeckung das eine Opfer wie
das andere zum Vorschein, halbverscharrt wie einst der
Franzose, mit nur einem herausragenden Arm,
wird nun der ermordete Pole aufgefunden. Und neben
ihm der tote Mörder, der so endgültig in das
Versteck einbezogen wird.
Zum
Entsetzen Hradschecks und auch Bocholts ersteht das Opfer neu. Die
Schuldgefühle, die im Leichenversteck eine Zeitlang
wie materialisiert und abgelegt schienen, greifen zerstörerisch
über auf die eigene, in ihrer Stabilität eitel
überschätzte Identität. Jenes
zeitüberschreitende Moment freilich, wie das versteckte
Opfer zaubermächtig aus dem Versteck treten und noch
einmal in die Gegenwart eingreifen konnte, wird
Fontane in der Folge immer stärker für das eigene
Erzählen geltend machen,
bis er in seinen Altersromanen seine zeitkritischen
Argumentationen nur verschlüsselt erzählt und dem Leser
auf nicht absehbare Zeit vorenthält.
*
Ich komme zu der
letzten und sublimiertesten Variante der kriminalisierten
Verstecksuche, zu Quitt
(1890). "Die verborgene
Schuld, vor niemand eingestanden, das ist die schwerste der Strafen",
bemerkt Lehnert Menz etliche Zeit nach seiner Tat.21
Die Auflösung seines
Gewissenskonflikts erscheint denkbar konventionell und als
pedantische Einlösung des Buchtitels, wenn Menz'
Todesumstände in der Neuen Welt denen am
Ort seines Opfers im Riesengebirge mit
peinlicher Akkuratesse angeglichen
werden. Das Demonstrative der Schuld-und-Sühnethematik hat mit
großem Erfolg über das verborgene
eigentliche Erzählinteresse hinweggetäuscht. Quitt
riskiert –
energischer als das zwei Jahre zuvor veröffentlichte
Ribbeck-Gedicht
– nichts Geringeres als einen zeitpolitisch eingekleideten
Angriff auf die christliche Lehre vom
Erlösertode.
Die Form ist die der Travestie, die Christi Passion in
einer zeitgemäßen, durch Thron-und-Altar-Devotion
korrumpierten Symbolik nachspielt.
-------------------------------------------------------------------------------------------
20
N
III, 397ff.
21
N
VI, 139. Ähnlich
kommentierte Baltzer Bocholt noch vor seiner Tat den Spruch "Ist
auch noch so fein gesponnen, muß doch alles an die
Sonnen": "Und ist auch ein Trost und ein Glück, daß es so ist ... was ein rechtes Unrecht ist, das will
auch heraus
und kann die Verborgenheiten nicht aushalten. Und eines Tages tritt
es selber vor und sagt: hier bin ich." (N II, 219)