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LITERARISCHER VAMPIRISMUS. KLINGEMANNS NACHTWACHEN. VON BONAVENTURA 

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Bildquelle: www.kiefer.de/Abbildungen/74/74-2977-1.jpg


setzer von Youngs »Nachtgedanken«, deren Kenntnis die »Bona­ven­tu­ra«-­For­schung seit Hermann Michel für den Verfasser der »Nachtwa­chen« erwogen, immer aber nur in­di­rekt, durch Ver­mitt­lung von Wie­land, Her­der, Hölty und Jean Paul einräumen mochte.158 Ebert starb 1795, mit­ten in Klin­ge­manns An­fangs­se­me­ster am Braun­schwei­ger Collegium Carolinum, wo er noch über Pla­tons »Phä­don« las: über die »Un­sterb­lich­keit der See­le«.

    Die Sterblichkeit des Menschen wird zum großen Skandalon dieser Fried­hofsnachtwache. Gleich zu Be­ginn trifft Kreuz­gang auf einen Poeten, der sich als sein äußerster Widerpart gebärdet und in dem ich Ebert als das Mund­stück von Youngs »The Complaint, or nigth thougths on life, death and im­mor­tal­i­ty« wie­der­er­ken­ne -

      »Ein Poet meinte, die zweite Welt lausche in die untenliegende herunter - ich hielt es nur für äffenden

     Wiederhall und matten täuschenden Licht­schein ... Der Poet trieb sich eine Zeitlang unter den Gräbern

     herum, und besprach sich abwechselnd mit auf dem Boden liegenden Schädeln, um sich in Feuer zu

     setzen, wie er sagte; mir wurde es langweilig, und ich schlief darüber am Denkmale ein.

         Da hörte ich im Schlafe das Gewitter aufsteigen, und der Poet wollte den Donner in Musik sezen und

     Worte dazu dichten«, vergeblich. »Der Poet hatte sein Blatt von neuem ergriffen und versuchte zu

     schreiben; zur Unterlage diente ihm ein Schädel - und er begann wirklich und ich sah den Titel vollen­-

     det: Gedicht über die Unsterblichkeit.

        Der Schädel grinsete tückisch unter dem Blatte, der Poet hatte kein Arg daraus, und schrieb den Ein-

     gang zum Gedichte, worin er die Phantasie anrief ihm zu diktiren. Darauf hub er mit einem grausenden

     Gemälde des Todes an, um zulezt die Unsterblichkeit desto glänzender hervorführen zu können, wie

     den hellen strahlenden Sonnenaufgang nach der tiefsten dunkelsten Nacht.«159


Der letzte Satz schon könnte als triftige Analyse der Erzählstrategie von Young/Ebert gelten, wo die er­schöp­fen­den Beschwörungen des Todes in die Apotheose der neunten und letzten »Nacht« münden:

     »... Welch ein hoher Trost krönt meinen Gesang! So lebe denn wohl, o Nacht! Die Finsterniß ist ver-

     schwunden: Die Freude bricht an, sie stralt, sie prangt in vollem Glänze; es ist ein ewiger Tag.«160

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158 Vgl. dazu H. Michel, a.a.O. (Fußnote 39 auf S. 32), S. XXVIII; D. Sölle a.a.O. (Fußnote 113 auf S. 69), S. 91 und R. Brink­mann, a.a.O. (Fußnote 111 auf S. 68), S. 9f.

159  Nachtwachen, a.a.O., S. 185f.

160 Dr. Eduard Young's Klagen, oder Nachtgedanken über Leben, Tod und Unsterblichkeit. In neun Näch­ten. Übersetzt von J.A. Ebert (2. Aufl. in 4 Bänden, Braunschweig 1796), S. 317.

 

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Lithographie von Lovis Corinth, in: ›Die Nachtwachen des Bonaventura‹ (Berlin 1925)
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