BILDER FONTANES GEGEN DEN TOD. ›HERR VON RIBBECK AUF RIBBECK‹
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Bildquelle: ›Theodor Fontane. Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland mit Bildern vom Marta Marta Koči ‹ (3. Aufl. Zürich 1999)
Das in der Schule
gelernte Gedicht Herr
von Ribbeck auf Ribbeck
(1889) war für mich, den Zehn- oder Elfjährigen, der
erste Zugang zu Fontane. Unter all der golden glänzenden und so
spendablen Herzlichkeit war da eine tiefere
und etwas ungehörige Anziehungskraft zu
verspüren; verlockte doch die Zauberfrucht, die dem
Jungen und kameradschaftlich auch der "lütt
Dirn" angeboten wurde, zum Zauberer selbst, seiner
Stimme nach, die zuletzt aus seinem Birnbaumversteck
herüberdrang. Unheimlich daran war, wenn dies auch
vom Kind als Bild nicht weiter ausgemalt wurde,
wie die Frucht aus dem Totgesagten herauskommt.
Und verführerisch zog sie einen hinweg von den
Erwachsenen und ihren sattsam bekannten,
halb verstandenen Mahnungen zog, sich ja nur in acht zu nehmen
vor solchen Anträgen. Erst dem endlich selber
Erwachsenen ging die versteckte Argumentation
dieses weitherzigen Spenders voll auf. Daß also
die Ribbecksche Solidarität mit den Kindern
weit über das Überlisten der Erben von Fleisch und
Blut hinausdrängt; daß die witzige Wendung gegen die
herkömmliche Abfolge der Generationen
und ihre Besitztitel einen auch metaphysischen
Charakter hat. Dieser erscheint, unausstehlich
beinahe, in dem zur Aussöhnung mit dem Tode hartnäckig
angebotenen uralten Bild einer
Palingenese, hier als Weiterleben im
Naturkreislauf von dem Moment an, als der Alte just zur
Reifezeit sein Ende fühle, bis hin zu diesem
Flüstern in dem der Leiche entwachsenen Birnbaum.1
Buchstäblich
genommen, wäre dies eine gräßliche anthropophagische Zumutung.
Erträglich und neu verlockend wird es als Doppelspiel, das
sich sowohl gegen die "Feiergesicht"-Gläubigkeit
derer wendet, die da zur Beisetzung des Alten
anzutreten und zu singen haben "Jesus meine
Zuversicht", als auch gegen die üblichen planen
Überlieferungs- oder Fortschrittsdoktrinen.
Wie sich nämlich bei Fontane das Alte aus dem
Sarkophag des "stillen Hauses" hervorarbeitet
und neuen Segen zu stiften vermag, läßt sich ja
sowohl als irdisches Gegenbild zu dem leeren, auf ein
Jenseits vertröstenden Grab Christi als auch zu
den Geschichtsmodellen auffassen, die das Vergangene
als ein Erledigtes abtun oder es zu ihrer wesenlos
gewordenen "Vorgeschichte" herabsetzen.
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1
In einem Bilderbuch für das Vorschulalter (illustriert von Marta
Koci) trägt die Baumkrone "Züge des pausbäckigen
Gesichts" des Beigesetzten. Vgl. Tomas Küpper, "...
leuchtet’s wieder breit und weit". Zur Popularität
der Ribbeck-Ballade.
In: Fontane-Blätter
67
(1999), S. 106-121; Zitat S. 108
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