Home
Impressum
RUTH FLEIGS GALERIE
Schulkinder malen
Bilderbuch Rob. Rabe
Kritzel-Kratzel
HORST FLEIGS TEXTE:
I  Philosophica
II  Reiseberichte
III Zu Wim Wenders
IV Film und Kindheit
V Mitschüler/Schulen
VI Germanistisches
A DER ALTE GOETHE
Briefpartner
Briefkunst
Gesprächspartner
Goethes Tagebuch
Schatten des Todes
Ausg. letzter Hand
Weltliteratur
Geistig vereinsamt
Sekretieren
Erinnerungsschocks
Sich-historisch-Sein
›Warte nur, balde‹
Kollektivwesen Genie
Hypsistarier Goethe
B ZU THEODOR FONTANE
Herr von Ribbeck
Grete Minde
Ellernklipp
Unt. Birnbaum. Quitt
L'Adultera
Schach von Wuthenow
Gegenzeitigkeit
Zur Stechlin-Fontäne
C ZU »BONAVENTURA«
Literar. Identität
Mikrostilistik
Exlusionsphase
›Memnon‹-Nacht
Name und Maske
D ZU AUG. KLINGEMANN
Kandidatenreigen
Sprachstatistiken
K-s Artikel und ›Nw‹
Datierungstabelle
Arnims Nachtwache
Nacht bei Klingemann
Pseud. Bonaventura
Demiurg Shakespeare
Maske »Bonaventura«
»Parallelen«-Debakel
Mimetisches Genie
Prometheus Theater
Braunschweiger Vita
Vampirismus
Zwei Lieblingsorte
Collegium Medicum
Freigeist Lessing
Mentor Eschenburg
Alessandro-Kreuzgang
Postskripta 2011

BILDER FONTANES GEGEN DEN TOD. GRETE  MINDE

__________________________________________________________


*


"Ich ... mußt an alte Zeiten denken, und an den Sommer, wo ich auch dreizehn war und mit Hans Hen­sen Versteckens spiel­te und eine geschlagene Glockenstunde hinter dem Rauchfang saß, Hand in Hand, und im­mer nur in Sorge, daß wir zu früh ge­fun­den, zu früh in unserem Glücke ge­stört werden könn­ten."3


Mit diesen Worten kommentiert in Grete Minde (1880) Valtins Stiefmutter Em­rentz die Sze­ne zwi­schen den Kindern, die sie soeben – wie auch nebenan Gretes mißgünstige Schwägerin Trud – be­lauscht hat. An­gesprochen wurde das Mo­tiv des Verstecks schon in dem Eröffnungsdialog der No­vel­le, als Val­tin gegen Truds Verbot seine Freundin zu dem ver­bor­ge­nen Hänf­lingsnest in sei­nen Gar­ten her­über­zu­lo­cken sucht. Wie die beiden dabei vom Erzähler zum erstenmal vor Au­gen ge­führt wer­den, bis über die Brust von Him­beerbüschen umwachsen, korrespon­diert mit dem Nest­ver­steck und ist ein Sehn­suchts­bild kind­li­cher Ge­borgenheit. Diese wird zwar gleich darauf von Val­tin in Fra­ge ge­stellt, aber so, daß der Sehn­suchts­cha­rak­ter nur um so maliziöser gesteigert wird: "Un­se­re Müt­ter sind nicht so bang um uns", fin­det Val­tin, als der Vo­gel sei­ne beiden Jungen um­kreist, be­merkt dies al­so in Ge­gen­wart je­ner versteckten und jeweils hö­her po­stier­ten Au­gen­zeu­gen.

    Fontane pflegt für Szenen wie diese zwar in die eigene Lebensgeschichte ein­zutauchen, sie aber im Er­zähl­vorgang im­mer schon dem Verständnis und Le­bensgefühl seiner Figuren anzuverwan­deln. Hier er­wei­tert er das Versteckmotiv, das ihn in sei­nen Kin­derjahren als Einzelgänger im Versteck zeigt, ganz im Sin­ne der bei­den Stiefkinder, ihrem noch kind­li­chen Ver­lan­gen nach Nest­wärme und ih­rer neu und im­mer stärker aufkommenden erotischen Zuneigung. Grete sel­ber hat ih­ren Le­bens­kampf im Zeichen des Engels zu bestehen. In jener Vo­gelszene am Hänflingsnest kündigte sich dies zart an und soll sich dra­stisch er­fül­len, wenn sie am Ende wie ein biblischer Racheengel über ih­rer Hei­mat­stadt ste­hen wird. Denn wie ih­re frem­de katholische Herkunft in einem fort re­li­gi­ö­se Be­spit­ze­lun­gen und Indoktrinationen pro­vo­ziert, so sucht Gre­te ihrerseits Zu­flucht zu einer re­li­gi­ö­sen Bil­der­welt, die zwi­schen katholischer und altheidnisch-mär­ki­scher Tra­di­ti­on schwankt. Das er­ste stärk­ste Ge­gen­bild zu dem Feuer und Flammen speienden lutherischen Pfar­rer Gi­gas fin­det Gre­te in dem "Jüng­sten Ge­richt", das die fahrenden Puppenspieler im Tangermünder Rathaus auf­füh­ren. Die drei­ge­teil­te Büh­ne mit einem "treppenförmigen Mittelraum" ist nach dem Vorbild ei­nes Flü­gel-Al­tars kom­po­niert, des­sen Mittelschrein Christus und Ma­ria beim Weltgericht zeigt, wäh­rend auf den Seiten­flü­geln Him­mel und Höl­le mit je­weiligem Gefolge angesiedelt sind.4 Gretes glühende An­teil­nah­me an der Szene, in der ein ver­welt­lich­ter Prie-­

-------------------------------------------------------------------------------------------

3 Theodor Fontane, Sämtliche Werke. Hrsg. E. Groß, K. Schreinert u.a. ("Nymphenburger Ausga­be"), München 1959ff. (Ich zi­tiere als: N; dann Bandzahl, Seitenzahl); N III, S. 13        4  N III, 17f.  


Zurück                                                        - 4 -
Weiter
Top
http://www.fleig-fleig.de/