PSEUDONYM UND TIEFENHERMENEUTIK. LITERARISCHE IDENTITÄT
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schließend
Identischen. -
Eine
gleiche Kapitulation spricht aus der
verbreiteten
These, nur ein
Zufallsfund aus dem Dienemannschen Verlagsarchiv könne
das Problem lösen. Als Eingeständnis des Nichtwissens
hilft dies weiter, nicht aber als ein Ignorabimus;
zudem wäre etwa eine Vorschußquittung
mit
Namen nichts als eine Spur, über deren Triftigkeit
einzig die Interpretation des Lebenswerkes
als
Texte-Kritik befinden kann.2)
Das
beispiellos Verschlossene dieses Buchs verlangt eine Interpretation,
die das Grundproblem der »Nachtwachen«
neu aufnimmt, um es an ihnen selber und gegen sie zu definieren:
»Identität« oder »Selbst«. Davon enthält die Frage
nach dem Verfasser gerade einen Vorbegriff;
was in der bestimmten Identität zu denken ist und was nicht,
soll als Identifizieren Zug um Zug versucht
werden.
Den
auch taktisch sich unterscheidenden Vorschlägen für »Bonaventura«
ist im Ansatz gemein, daß
sie
von markanten, ob offenliegenden oder
versteckten Textmomenten der »Nachtwachen«
her Ausschau halten nach einem Literaten, zu dem die Seltenheiten
wohl passen möchten. Überhaupt zum Problem gemacht wurde dies
bestätigende Vorgehen erst durch die
Prager Dissertation von Karl Hofmann (1921),
der
das Summieren von inhaltlichen(?)
Parallelen
durch Schultz und Frank(?) angreift und stattdessen auf
nicht-willkürliche Funktionswörter
achtet; vergleicht er den Befund bei »B« ohne weiteres mit dem
auch von ihm vermuteten Brentano, so ist er
wohl der erste, der sich (systematisch) einem
Scheitern
aussetzt; doch blieb auch hier - abgesehen von den
fehlerhaften Kombinationen in seinem
statistischen Verfahren3)
- der Kreis der
Kandidaten willkürlich.
Und
hier liegt der andere Grund für das Verrannte des
Forschungsstandes: Der in Frage Kommende ist entweder
von der mehr oder minder argen Belesenheit mit ihren diffusen
Relikten gesteuert oder wird engstirnig an
bestimmten Berührungspunkten erwartet,
wie durch Schultz, der im Umkreis des Peniger Journals
recherchierte. Sein Ausgang ist wenigstens
einsehbar, während jener sich nur auf
Anmutungsqualitäten berufen könnte - faktisch
zeigt nur Frank die Karten vor, wenn er, um »nur alle
irgend in Betracht kommenden Romantiker«
auf das Dativ-e hin durchzusehen, gerade zwanzig Autoren
anführt; und
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2)
Postskript
2011:)
Dieser kleine Vorbehalt würde auch
für den überraschenden und schönen Fund von Ruth Haag gelten, die
bei einer Nachlaßbearbeitung im
Amsterdamer Universitätsarchiv auf ein Verzeichnis der Werke
Klingemanns von fremder Hand stieß, in das Klingemann 1830
eigenhändig die Nachtwachen
als sein Frühwerk einfügte. Vgl.
Ruth Haag: Noch einmal. Der
Verfasser der ›Nachtwachen
von Bonaventura‹,
1804. In: Euphorion
1987 (Bd. 81, Heft 3, S. 286-297).
Siehe die Abbildung
dieser Selbstzuschreibung Klingemanns.
Nur
gut, in der philologischen Sache und auch pro domo, daß nach diesem
»Rohmanuskript«
von 1973 auch
mein
Klingemann-Buch von
1985 schon erschienen war und vor allem die internationale Fachkritik
dieser Identifizierung im wesentlichen zugestimmt hatte.
3) Jeffrey L. Sammons, The
Nachtwachen von Bonaventura. A Structural Interpretation
(London/The Hague/Paris
I965), S. 20-27
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