BILDER FONTANES GEGEN DEN TOD. ›UNTERM BIRNBAUM‹. ›QUITT‹
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Motiv wird auf
die Spitze getrieben, wenn Hradschecks Ladenjunge
Ede
bei der Anspielung der Jeschke (Verwandlung
der Malvasier in eine "Franzosenbeer")
vor Schreck die angebissene "nachgereifte" Frucht
fallen läßt und in seinem Grauen sofort
zielstrebig weiter auf den angeblichen Spuk im Keller
gelenkt wird. Zum letzten Schritt: Die Erde gehe vom
Birnbaum schräg zu seinem Keller hin, da könnte der Franzose
wohl "en beten rutscht sinn",20
mit diesen
divinatorischen Worten treibt die Alte
zuletzt auch Hradscheck in die Falle, der beim verzweifelten
Versuch, die Leiche in die Oder zu verbringen, durch
ein weggerolltes Ölfaß in diesem Keller
eingesperrt wird. Der Analogiezauber hat sich erfüllt,
wirklich kommt im Augenblick der Entdeckung
das eine Opfer wie das andere zum Vorschein, halbverscharrt
wie einst der Franzose, mit nur einem herausragenden
Arm, wird nun der ermordete Pole aufgefunden. Und
neben ihm der tote Mörder, der so endgültig in
das Versteck einbezogen wird.
Zum
Entsetzen Hradschecks und auch Bocholts ersteht das Opfer neu. Die
Schuldgefühle, die im Leichenversteck eine Zeitlang
wie materialisiert und abgelegt schienen, greifen zerstörerisch
über auf die eigene, in ihrer Stabilität eitel
überschätzte Identität. Jenes
zeitüberschreitende Moment freilich, wie das versteckte
Opfer zaubermächtig aus dem Versteck treten und noch
einmal in die Gegenwart eingreifen konnte, wird
Fontane in der Folge immer stärker auf das eigene
Erzählen beziehen, bis er in seinen
Altersromanen seine zeitkritischen Argumentationen nur
verschlüsselt erzählt und dem Leser auf nicht absehbare
Zeit vorenthält.
Ich komme zu der
letzten und sublimiertesten Variante der kriminalisierten
Verstecksuche, zu Quitt
(1890). "Die verborgene
Schuld, vor niemand eingestanden, das ist die schwerste der Strafen",
bemerkt Lehnert Menz etliche Zeit nach seiner Tat.21
Die Auflösung seines
Gewissenskonflikts erscheint denkbar konventionell und als
pedantische Einlösung des Buchtitels, wenn Menz'
Todesumstände in der Neuen Welt denen am
Ort seines Opfers im Riesengebirge mit
peinlicher Akkuratesse angeglichen
werden. Das Demonstrative der Schuld-und-Sühnethematik hat mit
großem Erfolg über das verborgene
eigentliche Erzählinteresse hinweggetäuscht. Quitt
riskiert – energischer als das
zwei Jahre zuvor veröffentlichte
Ribbeck-Gedicht
– nichts Geringeres als einen zeitpolitisch eingekleideten
Angriff auf die christliche Lehre vom
Erlösertode. Die Form ist die der Travestie,
die Christi Passion in einer zeitgemäßen, durch
Thron-und-Altar-Devotion korrumpierten Symbolik
nachspielt.
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20
N III, 397ff.
21
N VI,
139. Ähnlich
kommentierte Baltzer Bocholt noch vor seiner Tat den Spruch "Ist
auch noch so fein gesponnen, muß doch alles an die
Sonnen": "Und ist auch ein Trost und ein Glück,
daß es so ist ... was ein rechtes Unrecht ist, das will
auch heraus und kann die
Verborgenheiten nicht aushalten. Und eines Tages tritt es selber vor
und sagt: hier bin ich." (N II, 219)