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MERLIN ODER DER ALTE GOETHE
DIE LETZTEN JAHRE (1823-32)
Verbesserte und um Abbildungen ergänzte Fassung meines Essays in Bd. 37 der Frankfurter Goethe-Ausgabe
(Deutscher Klassiker Verlag: ›Briefe, Tagebücher und Gespräche von 1823 bis zu Goethes Tod‹, Frankfurt/M. 1993)
Am
14. 12. 1830 schreibt Goethe seinem Freund Zelter, der seit vielen
Jahren die Berliner ›Singakademie‹ leitet und Musikprofessor an
der Akademie der Künste ist: »Schon manchmal hab ich bedacht,
wie wir beiden gleichsam an die entgegengesetzten
Enden der sozialen Welt angewiesen sind; du, in die kreiselnde
Bewegung einer volkreichen Königstadt
verschlungen, hast alles persönlich zu bestehen,
unterrichtest und lehrst <. . .> Indessen ich
einsam, wie Merlin vom leuchtenden Grabe her,
mein eignes Echo ruhig und gelegentlich, in der Nähe,
wohl auch in die Ferne vernehmen lasse«. Ein poetisches
Denkbild für die letzten Jahre Goethes: Merlin, der
Zauberer und Prophet der Artusdichtung,
von der Fee Viviane unter einem Weißdornbusch in ewigen Schlaf
versenkt, von Zeit zu Zeit aber noch mit einem Rat für die
Zukunft zu vernehmen. Wie geisterhaft
Goethes Präsenz tatsächlich war, wie sehr sein
Interesse an der Gegenwart sich aus der
Perspektive nach dem eigenen Tod
bestimmte, geht aus vereinzelten
Tagebuchnotizen wie aus den vielen
unterdrückten, gleichwohl aufbewahrten Stellen
seiner Briefkonzepte hervor, ja, schon aus
den weiteren Ausführungen dieses Schreibens an Zelter:
Nach dem Tode seines Sohnes vor wenigen Wochen in Rom habe
er sich von der Arbeit am letzten Teil seiner
Autobiographie »ganz absorbieren«
lassen und bereite nun, nach erlittenem Blutsturz,
testamentarisch die Veröffentlichung
seines Briefwechsels mit Zelter vor einer noch
›lebenden‹ Korrespondenz also. Ein
Leitmotiv darin ist Goethes Aufforderung, ihn
rasch mit neuen Berichten aus dem Berliner
Leben zu versorgen, und das heißt denn doch: sie noch
diesem Briefwechsel einzuverleiben,
für den er seit 1825 die älteren eigenen
Briefe von Zelter zurückerhält, um
sie wie die jüngsten
für die geplante Veröffentlichung abschreiben
zu lassen. Aspekte unseres (latenten) Themas, wie ein
Großer vom Leben Abschied nimmt.
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