LITERARISCHER VAMPIRISMUS. KLINGEMANNS ›NACHTWACHEN. VON BONAVENTURA‹
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Zerfall jeder Individualgeschichte. Traumhaft sicher verfolgte der junge Klingemann diesen aporetischen Weg. In »Memnon« (1800) sprach er die Gefahren des Skeptizismus in aller Deutlichkeit an:
»Die Philosophie ist nur für Wenige ein Licht geworden; die anderen aber hat sie dagegen in eine noch tiefere Nacht geführt. Der unaufgelöste Zweifel ist das zerstörendste Gift ... Das Symbol der Transcendentalphilosophie ist ein ›memento mori‹ mit der Silphe«.227
Klingemann suchte aber, inmitten der sich formierenden romantischen Bewegung, selber noch nach der Auflösung dieses tödlichen Zweifels. Erkennen wir doch jetzt in dem Zeittypischen des Memnon-Kultes ein tieferes lebensgeschichtliches Manöver, das intellektuelle Experiment, dem wie erstarrten alten Selbst den aufblühenden romantischen Kunstglauben einzuhauchen. Nach dem Widerruf dieser Gläubigkeit – nach den »Nachtwachen« – blieb ihm also nur der Rückzug in die »Prometheische Werkstatt« des Theaters. Noch dessen Innovationen verdanken sich, wenn man so will, künstlerischer Gläubigkeit, dem Faszinosum nämlich einer »Kinderzeit, wo ... ich mit Lust und Schauder meinen Platz vor dem geheimnißvollen Vorhange einnahm, und das Theater als ein, den unbekannten Göttern geweihetes, Pantheon, betrachtete.«228
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Mit Klingemanns Studium in Jena hat sich unsere Untersuchung fürs erste geschlossen. Die spärlichen Spuren der drei Jenaer Jahre wären bei anderer Gelegenheit einmal zu verfolgen, scheint doch die Rolle des Studenten nicht so trabantenhaft gewesen zu sein, wie bislang angenommen. So überliefert er später eine Bemerkung, die ihm A.W. Schlegel 1799 über Ifflands Spiel gemacht hätte, erwähnt außer der Bekanntschaft mit Schiller (und Kotzebue) auch Eindrücke von einer Jenaer Abendgesellschaft bei A.W. Schlegel, aus dessen »Hamlet«-Übersetzung Tieck damals vorgelesen habe.229 Noch ungeklärt sind vor allem seine Verbindungen zu Christian Vulpius, zu Wielands Sohn Ludwig und Charlotte Buffs Sohn Kestner; auch über seinen Verkehr im Hause von Christian G. Schütz und über dessen Liebhaber-
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227 Klingemann, Memnon, a.a.O. (Fußnote 24), S. 6f.; s. auch S. 13
228 Kunst und Natur, a.a.O. (Fußnote 23), Bd. 2, S. 397 229 a.a.O., Bd. 1, S. 463ff. bzw. Bd. 1, S. 39f.
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