LITERARISCHER VAMPIRISMUS. KLINGEMANNS ›NACHTWACHEN. VON BONAVENTURA‹
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brechlicher
Göze, dem er zu dienen glaubt, wenn er sich selbst nur dient
... Der Fleck worauf ich stehe ist nicht gut! Ich grause
vor mir selbst! — (er sieht auf und erschrickt.) Die Nacht bricht
ein; es ist außer mir und in mir dunkel geworden«.220
»(Alessandro
sizt unter einem Felsen und bläst die Flöte - nach einer kurzen
Pause fährt er wild auf und zerschmettert das Instrument
am Felsen.) Fort mit Dir! Du lügst eine Harmonie ... Es hat sich vor
meinen Blikken verschlossen! Meine Wünsche
sind Wahnsinn! - Ich selbst kann mir nur Gott seyn, wenn ich an die
Gotheit glauben soll! - Da ist es, wo ich mich verlohren
habe und nichts kann mich retten - Wozu ordnet sich denn
dis Ganze zusammen? Nur damit der Mensch dahin krieche
wie das Thier, und die Erde mit seiner Gattung
erfülle? Die Natur wolte ein Geschöpf mehr haben
das sich nähre und mäste, geboren werde und sterbe!
und konte sie mehr geben, als sie selbst hatte? - in der
Natur ist die Freiheit nicht zu Hause; konte sie
das Unsterbliche hervorbringen?«221
Und
dann, ehe er den Tyrannen erdolcht:
»Mitternacht.
(Er liegt vor einem Krucifixe auf den Knieen und scheint zu beten.)
... Umsonst! So wie es aus dem Herzen komt, so kehrt es
wieder in das Herz zurück und der leere Schall zerfliegt in der
Luft! — Zu wem bete ich denn? Niemand ist da, der mich hört!
Kein Ton schlägt mehr in meiner Seele an - ich rufe in den
luftleeren Raum und höre meine Stimme nicht
... In mir ist es leer und weit ... ich blikke auf die Ruine
einer untergegangenen Welt«.222
Nach dem großen
Vernichtungstraum,
der für die 14.
Nachtwache zu erörtern war, folgt nun die
Schlußszene.
In Gedanken an seine Opfer
steht
Alessandro in
schwarzer
Nacht auf den Klippen:
»›Verschwunden
auf ewig! streut die Asche in den Sturm und der Gedanke ist verweht
... - es giebt keinen der die tausend Thränen zählt die in dem
Strome dahin flössen. Horch! es saußt herüber aus der dunkeln
Nacht - ihre klagende Stimme schalt durch den Sturm - ihr
Haar fliegt im Winde! Armes Mädchen, Dein Gesicht so bleich ...
‹ Er
schlug nieder mit dem Antlize auf den starren Felsen -
der Bliz zischte bei ihm herab und zersprengte die Klippen; ihn traf
er nicht - der Sturm wühlte durch sein Haar; er empfand ihn
nicht!
- Endlich richtete er sich wieder auf und fasste
mit
den Händen durch die Nacht ! -
›Ha!
ich bin allein! - Hört ihrs! Die Erde erbebt in ihren Grundfesten
... und da versinkt's um mich her ... Ich noch allein ... ich
versinke!‹ -
Von dem Felsen herab stürzte er in die Fluth - hoch thürmte sich
die Welle - sie verschlang ihn; hinter ihm her zischte
ein Bliz in die Tiefe.«223
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220 a.a.O., S. 182-186 221 a.a.O., S. 275-281 222 a.a.O., S. 312f.223 Die Ruinen im Schwarzwalde, a.a.O. (Fußnote 52 auf S. 40), S. 338ff.- 101 -