frühes biographisches
Motiv selbst bei dem 26jährigen Verfasser der
»Nachtwachen«
eben nur andeutungsweise zum Vorschein kommen und erst über
spätere Schriften hinreichen plausibel werden kann. Weshalb in der
folgenden Darstellung das stetige biographische Fortschreiten
und -rucken permanent durch Zeitsprünge durchbrochen
werden soll.
Ein
Bild dafür finden wir bei Kreuzgang selber, der zu Beginn der 7.
Nachtwache die eigene (geistige) Physiognomie als Vexiergemälde aus
Grazie, Meerkatze und Teufel beschreibt. So ist auch
in der literarbiographischen Betrachtung speziell des Nachtwächters
von jedem eindeutigen Vorbildcharakter abzukommen
und stattdessen ein facettenreiches Porträt zu erstellen, wie
es schon so verschiedenartigen Kunstfiguren wie dem
»Nachtwachen«-Erzähler
Achim von Arnims, dem »Liederlichen«
Hogarths, Jean Pauls Schoppe sowie auch Klingemanns Memnon
abzugewinnen war und wozu nun aus der frühen Braunschweiger
Zeit des Verfassers (literar-)historische Gestalten
wie der schreibende Opfermann Hirsemann, Campes Robinson Crusoe,
Cramers Erasmus Schleicher und womöglich auch der damals
unter Klingemanns Augen umgehende Stiftsnachtwächter einige
Züge und Rollenaspekte beisteuern.
Ernst
August Friedrich Klingemann wurde am 31. August 1777 in Braunschweig
geboren. Den Familienamen als Identitätsbasis hat Klingemann
wiederholt literarisch behaupten
müssen. Die geläufige Bedeutung des Namens wird Garlieb Merkel in
den antiromantischen »Ansichten
der Literatur und Kunst unsres Zeitalters«
(1803) parodieren, wenn er ein Titelkupfer
kommentiert, das im Nachtrab zu den prominenten Romantikern eine
kleinere Gruppe mit den Verlegern aus Penig, der
Pfarrersgestalt »Bonaventura« (Schelling) und
unserem »Mann mit der bloßen Klinge« zeigt. Letzterer, von der
Mutter mit einem schützenden Fallhut versehen,
stelle »mit ritterlichem Sinn/ Sich zum ungleichen Kampfe« vor
Merkel hin.85
Zu diesem Bilddetail aufgestachelt wurde Merkel wohl durch die
steif-pompöse Formulierung, mit der
Klingemann in einem »Eleganten«-Aufsatz
vom 21.4.1803 (auf den Merkel hier auch anspielt) die große
literarische Fehde dieser Jahre vorstellt;
es solle nämlich »der Mann mit dem Schwerdte für die Fahne
kämpfen, nicht aber aus persönlicher Rachgier den Dolch zükken«.86
Auf diese vordergründige und leicht zu
verspottende Version seines Namens wird Klingemann bis auf
weiteres keinen Wert mehr legen, schon sein anonymes
Postskriptum vom 31.3.1804 zeigt eine gewisse
Selbstentwaffnung an: Merkel sei keines ernsten Kampfes wert, statt
eines scharfen Schwerts wäre bei ihm schon eine
Gerte hinlänglich.
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85 Garlieb Merkel, Ansichten der Literatur und Kunst unsres Zeitalters, a.a.O., S. 38f.
86 Klingemann in Zeitung für die elegante Welt (Leipzig 1803), Nr. 48 vom 21.4.
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