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LITERARISCHER VAMPIRISMUS. KLINGEMANNS NACHTWACHEN. VON BONAVENTURA 

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Bildquellen: Hans Peter Doll, Spielplangestaltung der Theater 1802 und 1968 von den Braunschweiger Intendanten August Klingemann/Hans Peter Doll.  Braunschweig 1968, Frontispiz sowie 250 Jahre Braunschweigisches Staatstheater 1690-1940‹ (Braunschweig 1941), bei S. 20



Theater solchen Zerstreuungen wie auch al­len mo­ra­li­schen Zweck­set­zun­gen zu entziehen habe, hatte er schon in den Jah­ren vor den ›Nacht­wa­chener­klärt. Büh­nen­er­fah­ren, setzt er später bei der institutionel­len Form des The­a­ters selbst an, in­dem er sich glei­cher­ma­ßen gegen das Hof­theater mit seinen repräsentativen Funktionen und Ge­schmacks­dik­ta­ten wie ge­gen das »städ­tisch-mer­can­ti­li­sche Actien«-Theater ausspricht. An­stel­le bei­der The­a­ter­for­men, mit de­nen er als Di­rek­tor lan­ge zu tun hat­te, fordert er ein öf­fent­li­ches, da­bei vom Staat sel­ber un­abhängiges Theater, das so al­lein einen Aus­gleich zwi­schen Kas­sen­stü­cken und ex­pe­ri­men­tel­len oder anspruchsvollen Aufführungen riskieren könn­te. Über ein ent­spre­chen­des Re­per­toire hat­te er sich eben­falls früh schon (1802) taktische Gedanken gemacht; 1824 geht er so weit, als flan­kie­ren­de Maß­nah­me zu der rich­ti­gen Mi­schung der Stücke auch eine öf­fent­li­che Kri­tik des Par­ter­re vor­zu­schla­gen (das »schwei­gend da­sit­zen­de Par­terre« war schon Kreuz­gang-Ham­let ein Är­ger­nis), die­sem Stimm­füh­rer des Pub­li­kums ha­be man ge­dul­dig, in Ver­fei­ne­rung gleich­sam des be­kann­ten Vorklatschens Goethes, kunstverständigen Bei­fall bei­zu­brin­gen und ihm auch et­wa die Au­gen für die­nen­de Rollen zu öffnen.75

   Rigoros wie bei den äußeren Bedingungen zeigt sich Klingemann in den Ansprüchen an die Schau­spie­ler. Gewisse Er­den­re­ste auf der Bühne hält er zwar für untilgbar und notiert bei­spiels­wei­se, daß bei uns Hie­be der Schau­spie­ler wohl im­mer dra­stisch-deutsch ausfallen müßten. Ver­folgt aber un­er­bitt­lich das Durch­schla­gen ei­ner an­de­ren und ge­fähr­li­che­ren na­ti­o­na­len Ei­gen­heit, die Hin­ga­be­fä­hig­keit zu­gun­sten ei­ner »Uni­versalität«, die sich auf der Bühne als Olla po­tri­da ent­ge­gen­ge­setz­ter the­a­tra­li­scher Stil­for­men dar­stelle: »Hier conversirt einer in der Toga ... Don Car­los als preu­ßi­scher Fähn­rich aus­grei­fend; Po­sa als go­thi­scher Raufbold, Tell als an­ti­ker He­ros usw.«76 Dies wä­re die Klin­ge­mann seit je ver­haß­te, ek­lek­ti­zi­sti­sche Form von Univer­salität (per­si­fliert im »Teu­fels Ta­schen­buch«), das Pisonen-Un­ge­heu­er der 13. Nacht­wa­che, wo­ge­gen er nun, in mi­me­ti­scher Treue zu Cha­rak­ter, Geist und Fremd­heit der Stü­cke, den Schau­spie­lern sy­ste­ma­ti­sche Er­kun­dun­gen ab­verlang­te: Vor Aufführungen von Schau­spie­len der Antike hatten sich die Spie­ler detaillierten Stu­di­en an­ti­ker Skulp­tu­ren oder Gem­men zu widmen, um die eigenen mimischen Verhärtungen, die gra­zi­ö­sen mo­der­nen Po­si­ti­o­nen, das Spiel der Hän­de ent­spre­chend zu korrigieren und so die überlieferten An­sich­ten der Ge­stalt wie in ei­ner ein­zi­gen »wan­deln­den Pla­stik« auf­er­stehen zu las­sen.77 Klin­ge­mann grün­de­te ei­gens eine Kunstschule für Schau­spie­ler, die ne­ben der kör­-

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75  Klingemann, Kritik des Parterre. In: Beiträge zur Deutschen Schaubüh­ne 1824, a.a.O. (Fußnote 74).

76  Klingemann, Über den verschiedenen Styl in den theatralischen Darstellungen. In: Beiträge zur Deutschen Schau­büh­ne 1824, a.a.O.

77  Klingemann, Bruchstücke aus den noch ungedruckten Vorlesungen für Schauspieler. In: Beiträge zur Deutschen Schau­büh­ne (a.a.O.)

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Der Braunschweiger Theaterdirektor Klingemann
Oben: In theatralischer Pose (Stich von Friedrich Barthel 1818). Darunter: Ölgemälde von Johann Beese (Baese) um 1820
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