sicht
in die heillose Schnellfertigkeit, die auch bei dem
offenbaren Vorherrschen der Verstandes- und Willensreligion zu
technischem Virtuosentum führen mußte
anstatt zu geraffter Sammlung der Eindrücke ...«70
Wenngleich
Burath »die selbständige innere Haltung dieses Klingemannschen
Romanes erstaunlich« findet (wo Schillemeit ein
andermal etwas Nachgeahmtes sieht, einen »Roman in der
Nachfolge des Sternbald«),71
so läßt er doch zu schnell
Klingemann selber auf die Bühne springen; weder
war er Schauspieler noch Zuschauer, sondern
suchte sich in der heiklen Zwischenzone zu
behaupten, die er später konkret als Spielleiter oder
Dramaturg kennenlernen wird und
hier, als Erzähler der »Nachtwachen«,
im Zusammenspiel mimetischer Erfahrungsdichte und -nähe mit der transzendierenden
Kälte der Reflexion erkundet und gestaltet hat. <...>
Schon
daß Klingemann nach den »Nachtwachen«
bzw. den
vorhergegangenen, meist dramatisierten Romanen keine
erzählende Prosa mehr schrieb oder
veröffentlichte, entsprach jener erst 1812 von ihm deutlich
ausgesprochenen Überzeugung von der kreativen
Überlegenheit der dramatischen Produktion über die
epische, die ihre Charaktere nicht
eigentlich zum selbständig handelnden Ich
»emanzipieren« könne; nur der Dramatiker
erlaube diesen Schöpfungsakt, prototypisch
Shakespeare,
»der, wie Prometheus, das Feuer dem Himmel
raubte, und damit seine Menschen belebte«.72
Was ja keine Façon de
parler war, sondern für Klingemann die
Entwicklung bis zur Transzendentalphilosophie
in sich beschloß, in ihren Tendenzen der
Selbstüberhebung wie auch der Entdeckung
der schöpferischen, sinnstiftenden
Qualitäten von Subjektivität.
So
blieb ihm also nur das Theater. Daß er 1801 vom Jenaer Jurastudium
ohne Abschluß heimkehrte, deutet schon in diese
Richtung; man muß zumindest von einem Opfer sprechen, gedenkt man
seiner Äußerung in dem erwähnten polemischen
Briefwechsel mit Adolf Müllner (17.3.1828), daß er am
liebsten einst »im Criminale« sich
hervorgetan hätte (was uns von »Bonaventura«
freilich kaum überrascht). Mit Bezug auf denselben
Müllner aber, der seine poetischen
Produktionen mit juristischen
Mitteln durchzusetzen versuche, schrieb
er ein Jahrzehnt zuvor, der
Dichter »auf seiner idealen Höhe«
solle
mit dem Juristen »nirgend etwas zu schaffen
haben, und selbst im Stande sein für seinen Ruhm, nöthigen
Fall zu verhungern«.73
Genau
das, was Kreuzgangs alter ego droht, wird hier noch einmal
allgemein dem Dichter abverlangt,
und wir haben zu unterstellen, daß Klingemann in den kritischen
Jahren –
seines
Abschieds vom memnonischen Dichtertum –
sich
diese bürgerliche Selbstverleugnung selber
noch zugemutet hat: Am Collegium medicum in Braun-
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70 Hugo Burath, a.a.O. (Fußnote 23), S. 73 71 Burath, a.a.O., S. 74 bzw. Schillemeit, a.a.O. (Fußnote 2), S. 33 und 100.
P.S.
2014)
Gegen
die These vom »Nachahmer«
Klingemann
wendet sich auch Irmgard Osols-Wehden in ihrer
Habilitationsschrift Pilgerfahrt
und Narrenreise: der Einfluß der Dichtungen Dantes und Ariosts auf
den frühromantischen Roman in Deutschland;
sie interpretiert hier Klingemanns Romano
als
»aufschlußreiches
Zeugnis narrativer Umsetzung kunst- und
dichtungstheoretischer Vorstellungen der frühromantischen
Bewegung«
(Hildesheim
1998; Zitat auf S. 269).
72
Klingemann, Oehlenschläger.
Fragmente zu seiner Karakteristik als dramatischer Dichter,
a.a.O., S. 51
73
Klingemann in Kunst
und Natur,
a.a.O. (Fußnote 23), Bd. 1, S. 430