LITERARISCHER VAMPIRISMUS. KLINGEMANNS ›NACHTWACHEN. VON BONAVENTURA‹
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die Pseudogenauigkeit darin, den Gesuchten
wie in einem »Koordinaten«-System festzulegen oder wie einen
Ganoven »namhaft und, soweit wie möglich, dingfest
zu machen«,64
ist es diese verdinglichende Identifizierung
selber, die Klingemanns hochinteressante literarische
Identität banalisiert und lächerlich
gemacht hat. Seine Gestalt, so aus hunderten von
Parallelen-Fetzchen zusammengesetzt, erinnert
denn wirklich an jenes Individuum in der 12. Nachtwache,
das, mit dem abgelegten Trödel der großen
Dichter und Denker ausstaffiert und auch gestisch und
physiognomisch in ihre Haut geschlüpft,
Eindruck zu schinden weiß. Schillemeit mußte diese
Figur wie eine Selbstpersiflage des Verfassers
vorkommen, die sich anderen Interpreten - zumal bei
Kenntnis der Quellenlage - als ein Exempel
zeitüblicher Originalitätssucht
darstellt und für Klingemann nur als eklektizistische
Vorstufe zu einer möglichen »Übersetzung«
des Menschen von Belang war.
Klingemann
hielt sein Leben lang (was Nachahmer schwerlich fertigbringen)
zu den gewichtigsten Motiven, Figuren und Themen der
»Nachtwachen«. Die Vermutung, später habe er wohl
nichts mehr von diesem Buch gehalten,65
wäre nicht erst durch Recherchen wie die zum
Schlußwerk »Bianca di Sepolcro« zu revidieren
gewesen, schon die Aufzählung von Peter Küpper (1967) zu
den »Nachtwachen«: »Leitfiguren
sind Ödipus und Hamlet, Ahasver und Don Quijote, Don Juan
und Faust«,66
läßt sich wie eine Anthologie Klingemannscher Theaterstücke lesen:
»Faust« (1815), »Don Quixote und Sancho
Pansa« (1815), »Ödipus und Jokasta« (1820),
»Ahasver« (1827) sowie - als Bühnenbearbeitung
- »Hamlet« (1815). Und wenn Schillemeit annimmt, daß
Klingemann von der späteren Zuschreibung der
»Nachtwachen« zugunsten von Schelling keine Notiz
genommen habe, da »längst in Amt und Würden eines
Theaterdirektors und entsprechend
beschäftigt«,67
dann wird es gar zu arg, da die Begründung auch noch die
schlichteste Konsequenz dem Werdegang
»Bonaventuras« abspricht: Der Verfasser
der »Nachtwachen«, der von Kreuzgangs erstem Auftritt
an mit Bühnenmotiven experimentiert
und in der »Hamlet-Ophelia«-Nachtwache sein Grundthema einer
artistischen Lebensform so ergreifend
durchdacht hat, wurde wahrlich nicht von ungefähr zu einem der
bedeutendsten Bühnenleiter seiner
Zeit!
Auch
das Ensemble der eigenen historischen Theaterstücke, von denen noch
zu nennen sind: »Moses«,
»Heinrich
der Löwe«,
»Heinrich
der Finkler«,
»Columbus«,
»Martin
Luther«,
»Ferdinand Cortez« sowie
»Cromwell«, läßt deut-
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64 Schillemeit, a.a.O., (Fußnote 2 auf S. 2), S. 18 bzw. 15 und 55 65 Schillemeit, ebd., S. 108
66 Peter Küpper, Unfromme Vigilien. Bonaventuras 'Nachtwachen'. In: Festschrift Richard Alewyn (Köln und Graz 1967, S. 309-327), S. 309f.
67 Schillemeit. ebd., S. 117f.
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