LITERARISCHER VAMPIRISMUS. KLINGEMANNS ›NACHTWACHEN. VON BONAVENTURA‹
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Bildquelle: www.bridgemanartondemand.com/lowres/140/main/6/562230.jpg
nicht,
und bin nicht. Bilder sind ... Ich selbst bin eins dieser
Bilder; ja, ich bin selbst dies nicht, sondern
nur ein
verworrenes Bild von den Bildern. - Alle Realität
verwandelt sich in einen wunderbaren Traum,
ohne ein Leben, von welchem geträumt wird, und
ohne einen Geist, dem da träumt... «.47
Bei
Fichte hat diese Einsicht nur Zwischenstufe für das
abschließende Buch »Glaube« zu sein, heilsamer Schock,
als dem Ich aufgeht, was mit der Auflösung der Außenwelt in
Bewußtseinsbestimmungen auch ihm
selber droht. Ophelia hat von dieser Gefahr, nicht mehr deutlich
das »Ich« als sich festigendes und steuerndes
Bewußtsein den immer befremdlicher wechselnden »Bildern«
und Vorstellungen entgegenstellen
zu können, nicht erst (»popular«-)theoretisch erfahren, vielmehr
schon von der prekären Identität des
Schauspielers her, laufend auch ein anderer zu sein. Im
Rollen-Wahn, der von ihr Besitz ergreift, bricht also
eine gewisse professionelle Deformation der
Persönlichkeit hervor, wobei nun freilich
die besondere Rolle der wahnsinnigen Ophelia dies
nicht bloß raffiniert veranschaulicht,
sondern aus sich selbst heraus schon - wie bei Shakespeare
- daraufhin angelegt ist, der eigenen
Verwirrung nachzusinnen. Darin weiterzudenken,
ist wahrlich schwindelerregend und macht es
verständlicher, daß sich die Ophelia der 14.
Nachtwache in einem Reflexionsprozeß zur Wehr setzt,
der in dem Rigorismus, mit dem er ein allen
Verwicklungen entzogenes »Ich« zu
erretten sucht, ebenjener methodischen
Selbst-Spaltung folgt, die so entschieden allererst
das idealistische Reflexionsmodell
herausgebildet hat: Der Reflektierende sucht hiernach
zu vermitteln zwischen einem »empirischen«,
beschränkten Ich (eigentümlich »verwirrt« bei
Ophelia) und einem angeblich »reinen« Ich, das der
Intention nach jenes individuierte in allen seinen
Weltverhältnissen ermöglichen
soll, aber als unbedingtes selber nie zu erfassen ist.48
Dies innere Versagen idealistischer
Reflexion hat sich wohl deshalb immer wieder
terminologisch zudecken und aushalten lassen, weil ja
massiv die christliche Tradition dahintersteht,
die These von der Gottesebenbildlichkeit des
Menschen, die der neuzeitlichen Reflexion die
Kraft gab, sich zum Erfassen des Wahren vom weltlich
Seienden weg-
und der
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47
Fichte,
Die
Bestimmung <... >,
a.a.O., S. 81. - Schon in Jean Pauls Clavis
Fichtiana seu Leibgeberiana
(1800)
wird Fichtes Bestimmung,
besonders ihrer konfusen »Popularität« wegen, vor allem
anderen angegriffen (vgl. Jean Paul, Sämtl.
Werke.
Hist.-krit.
Ausg.
(Weimar
1927ff.), Bd. 9 der 1. Abtlg., S. 463. - Zu Bonaventuras
Bezug auf Fichtes Bestimmung
vgl.
Walter Pfannkuche, Idealismus
und Nihilismus in den 'Nachtwachen' von Bonaventura
(Frankf./Main
u. Bern, 1983), S. 51-59.
48
Vgl. dazu Walter Schulz,
Das
Problem der absoluten Reflexion (Frankf./Main
1963).
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