PSEUDONYM UND TIEFENHERMENEUTIK. LITERARISCHE IDENTITÄT
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Solche den Naturwissenschaften abzulernende Notwendigkeit habe die einzige Aufgabe bei der Verfasserfrage zu sein. »Das wird nun freilich immer etwas sehr Äußerliches sein, denn das eigentlich Geistige ist unbedingt frei, individuell und einzig und widerstrebt allen Versuchen, es wissenschaftlich, d.h. in allgemeine Begriffe zu fassen«. Eine methodische Schizophrenie und doppelt blind. Angesetzt werden über den verschlungenen Dualismus von Natur- und Geisteswissenschaften zwei Formen von Individualität, eine empirischhistorisch aufgenötigte und eine spontane, wissenschaftlich ungreifbare. Jene sei so stichhaltig wie banal; so das Dativ-e zu erklären her von dem Bildungsgang dessen, der es auch aufweise, von Brentanos Schulzeit beim Schnepfenthaler Salzmann.
Was so sein mag; aber schon für das »welch« müßte Frank passen. Die Sicherheit eines ehern Gesetzmäßigen ist illusionär; es ist nicht auszumachen und gar nicht von vornherein zur Kandidatenwahl, was an einer Schreibweise Regelgehorsam, Abwehr, ästhetische oder intellektuelle Wahl ist. In diesem Bereich der MikrostilistikM.1) läßt sich nur von Schreib-Vorlieben sprechen, so daß die Subjektivität des Interpreten mit all den Risiken der Urteilsbildung bleibt. Kein Einzelzug der Sprache spricht für sich; auch wäre er als solcher nichtssagend wie der Fingerabdruck für die Tat und ihr Subjekt selbst; ebenso könnte man die Nachtwachen den Computern vorwerfen, um eines Tages im Verhältnis etwa von Fragezeichen zu Konsonanten etwas aufzuspüren, an dem es nichts zu deuteln und zu erkennen gibt. Nicht derartig KriminalistischesM.2) kann beim Identifizieren vorschweben, schon eher das mimetische Verletzen des Ordnungsdenkens – »Als Konstellation umkreist der theoretische Gedanke den Begriff, den er öffnen möchte, hoffend, daß er aufspringe etwa wie die Schlösser wohlverwahrter Kassenschrankes nicht nur durch einen Einzelschlüssel oder eine Einzelnummer sondern eine Nummernkombination.»4)
Das Identifizieren als Ausdifferenzieren des Nichtidentischen wird sich, nach dem Ansatzproblem einer Mikrostilistik, an die literarischen und im weiteren Sinn anthropologischen Disziplinen zu halten haben; die in ihnen abgegrenzten Sachbereiche mit den jeweiligen Typologien (des Erzählens, der Libido, der Dialekte ...) erlauben die Probe, wieweit im systematischen Ausschließen von Alternativen jemand Stand halten kann. Nicht bloß, um wegzukommen von einer Methode der Identifizierung, sind die Einzelergebnisse immer erneut in Frage zu stellen durch ein relativ unabhängiges Verfahren; vielmehr wäre zu versu-
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Marginalie 1 im Originalmanuskript:) Auch wenn diese Einzelmerkmale schwerlich weiter zu verstehen sind, sind sie als Persönlichkeitszeichen nicht zu sondern von den komplexeren Schreibweisen. Töricht, sich dem Einfluß der Nachtwachen entziehen zu können; im Gegenteil ist es unentbehrlich zum Feingespür, sich traumwandlerisch zurechtzufinden.
Marginalie 2 im Originalmanuskript:) Frank glaubt Br<entano> der Verfasserschaft »überführt«zu haben, spricht vom »Beschuldigten" (in: Clemens Brentano. Nachtwachen von Bonaventura. Hrsg. von Erich Frank, Heidelberg 1912, S. XVIII).
4) Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie (Frankfurt/Main 1970), S. 164
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