GOETHES LETZTES JAHRZEHNT. BRIEFPARTNER
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Im
dritten neuen Briefwechsel des letzten Jahrzehnts, dem mit Amalie
v. Levetzow,
klingen die Marienbader und Karlsbader
Wochen vom 11. 7. bis 5. 9. 1823 noch lange nach. Es ist keineswegs
so, daß Goethe nach der fehlgeschlagenen
Werbung um die 19jährige Tochter Ulrike (durch den Großherzog
Carl August) oder nach der krisenhaften
Niederschrift der Elegie
auf der Rückreise nach Weimar dieser »unmöglichsten aller
Synthesen« entsagt hätte. Für 1824 und 1825
erklärt er der Mutter mehrmals, wieder nach Böhmen kommen zu
wollen. Er spricht zwar Ulrike v. Levetzow
in diesen Briefen häufig nur kollektiv an und versteckt
auch später, als er nicht mehr vom Wiedersehen
schreibt, seine Neigung gern im Erinnerungskult
an das gemeinsame Geburtstagsgeschenk
der drei Töchter für 1823, den Becher mit ihren eingravierten
Namenszügen. Doch brechen immer wieder
individuelle Grußworte und
Erinnerungen an das »schlancke, liebe Kind« durch, »das
Allerliebste«, »unsre liebe, geliebte
Aelteste«, von der er erwartet, sie werde an einem
zugesandten Goethebildnis Bovys »ein
Eigenthumsrecht < ...> gewiß empfinden«
(17.6.1825). Und er bekennt der Mutter: »Wie glücklich
waren die Stunden die ich an ihren holden
Fingern abzählen durfte«, wobei er denn doch
eine Konzeptstelle zum selben Brief vom
29.8.1827 lieber für sich – und uns – behält: »Der Wunsch
sie <Ulrikes Hand> noch einmal aufrichtig
zu drücken, kann bei mir nicht erlöschen«.
Wie
dies Verlangen sich freilich abschwächte, geben wohl zwei kleine
Fehlleistungen noch aus der ersten Zeit zu erkennen. Am
31.12.1823 wiederholt er fast wörtlich einen Passus aus seinem Brief
vom 29.11., in dem er versicherte, wie sehr sich doch
der 1823 in Böhmen geschlossene »extemporierte <Ehe->Bund«
seines Weimarer Hofarztes Rehbein bewährt hätte.
Dieser verkappten Identifikation folgt aber schon im Herbst 1824 ein
Mißgeschick, das einer Verleugnung
nahekommt, »der
wunderlichste aller Unfälle«,
als er offenbar auf der Weimarer Poststation
die Levetzows, die sich dort auf der Durchreise nach Straßburg
aufhalten, sieht und nicht erkennt! »Ich will nun
auch nicht mehr an Vorahnungen und sonstiges
geheimes Andeuten im mindesten glauben
da so viel Schönes und Liebes unempfunden bey mir vorüber gehen
können.« Mit dieser Erklärung vom 18.10.1824 werden
Sehnsucht, Ungeduld und Hoffnung der Anfangsbriefe
durch Entschuldigungen und Beteuerungen der
Verbundenheit allmählich verdrängt. Entsetzen und
Resignation mischen sich bei diesem
»Unfall«, in dem sich für ihn der ominöse
Kutschenunfall von 1816 zu wiederholen
scheint, als zu Beginn der Rheinreise sein Wagen
umstürzte und er dies als Zeichen nahm, die Reise
ganz aufzugeben — wodurch er sich ein für
allemal aus der Nähe Marianne v.
Willemers verbannen sollte. Die
Dämonisierung des Trennungswunsches
ist jetzt gewiß unscheinbarer und auch die
fortschreitende Loslösung fast nur daran
zu erkennen, daß Goethe die Spuren dieses
Briefwechsels nicht mehr konsequent wie früher
verwischt und ab Mitte 1825 gar die Konzepte seiner
meist eigenhändigen Briefe aufbewahrt.
Erst mit dem Tode Carl Augusts, der mit Amalie v.
Levetzow seit langem befreundet gewesen
war, scheint es ausgestanden zu sein: Nach diesem
Sommer 1828 hat Goethe nur noch zwei knappe Schreiben nach
Böhmen gesandt. Erstorben wohl auch jetzt erst eine
nie erklärte Zuneigung oder Liebe hinter
dieser
Liebe,
zu »einem glänzenden Stern meines früheren Horizonts«
(wie er Amalie v. Levetzow am 9.1.1823 durch ihre
Tochter Ulrike grüßen läßt).
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