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MERLIN ODER DER ALTE GOETHE
DIE LETZTEN JAHRE 
(1823-32)

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Bildquelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/04/FriedrichVonMueller.jpg



Selbstverständlich entscheidet auch die Vertrautheit mit Goethe, Regelmäßigkeit und Art des Umgangs über Wert und Glaubwürdigkeit eines Gesprächsberichts. Wenden wir uns deshalb noch den beiden wich­tig­sten Zeugen un­se­res Zeitraums – einmal abgesehen vom Sonderfall Eckermann, vgl. S. 679f.2) – zu, dem Weimarer Kanzler Fried­rich v. Müller und dem Prinzenerzieher Frédéric Soret. Müller, dreißig Jahre jünger als Goethe, hat einige bio­gra­phi­sche Parallelen: ein Bürgerlicher, der die Rechte studierte, in wei­ma­ri­sche Dien­ste trat, nach er­folg­rei­chen Frie­dens­ver­hand­lun­gen mit Napoleon 1807 geadelt und 1815 Wei­ma­rer Mi­ni­ster der Ju­stiz (»Kanz­ler«) wur­de. Ei­ne Ba­sis der Ver­stän­digung, die noch durch literarische Me­ri­ten (Mül­ler über­setz­te By­ron, ging Goe­the als Über­setzer aus dem Fran­zö­si­schen zur Hand und drang be­harr­lich auf die Nie­der­schrift sei­ner Un­terhal­tung mit Na­poleon) und durch sei­ne Funk­ti­on als Ver­bin­dungs­mann Goe­thes mit dem noch für Frank­reich tä­ti­gen Di­plomaten Graf Rein­hard ge­fe­stigt wurde.

    Interessant wird ihr Verhältnis eigentlich erst durch einen Generationenkonflikt, indem der Kanzler viel von dem ›Ve­lo­zi­fe­ri­schen‹ besaß, das Goethe als Stigma des Zeitgeistes besonders dubios, verhaßt oder un­heim­lich war. Im Brief vom 26.12.1825 an Reinhard macht er unter dem genannten Stichwort eine kri­ti­sche An­mer­kung zur »Viel- und Schnell­tä­tig­keit« Mül­lers, ein andermal stellt er ihn als unverbesser­li­chen Op­ti­mi­sten hin oder wirft ihm un­ter vier Au­gen sei­ne Leicht­fertigkeit sowie das Heranziehen von zu vie­len ver­wäs­sern­den Ne­ben­ar­gu­men­ten vor; Mül­ler selbst er­wähnt einmal seine assoziative Ge­sprächs­tech­nik. Welch stän­di­ge Pro­vokation diese Ei­gen­schaf­ten, zu de­nen sich wie bei Alfred Nicolovius noch ein Hang zur In­dis­kre­ti­on gesellte, für Goethe ge­we­sen sein müssen, deu­ten Be­ob­ach­tun­gen Drit­ter wie Sorets und Sta­ckel­bergs an, wo­nach der Kanz­ler von Goe­the derb zu­recht­ge­wie­sen oder osten­tativ mit Miß­achtung ge­straft wur­de. Mül­lers Un­terhaltungen verraten da­von in dem wie zwang­haf­ten Ri­tu­al, zu Beginn oder En­de des Ge­sprächs häu­fig ei­ne emo­tionale Grund­cha­rak­te­ri­stik zu geben, ob sich Goe­the eher »wohl­wol­lend«, »mild«,»red­se­lig« und »treu­herzig« verhielt oder wie so oft »ne­gie­rend«, »per­si­flie­rend«, »ein­sil­big«, »iro­nisch«, »sehr hef­tig <...> ja un­ar­tig«. Wie bei kei­nem an­de­ren er­le­ben wir Goe­the im Zorn. Auch wenn Mül­ler mit­un­ter gar nicht ver­schweigt, daß er Goe­the durch ei­ne un­be­dach­te oder leicht­fer­ti­ge Äu­ße­rung auf­ge­bracht hat, so wä­re doch auch bei manch anderem schrof­fen und ab­spre­chen­den Ur­teil Goe­thes die­se Ge­reizt­heit mit zu ver­an­schlagen und eine ent­sprechende Ge­gen­be­haup­tung des Kanz­lers zwi­schen den Zei­len zu le­sen.

    Seiner unbekümmerten Wendigkeit, Neugierde und sei­nen »mitteilenden Gesinnungen« (so Goethe) ver­dan­ken Mül­lers Unterhaltungen eine thematische Breite, die uns allenfalls noch Goethes Briefwechsel mit Zel­ter bie­tet.

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2)  Auch solche Seitenzahlangaben beziehen sich auf Bd. 37 oder 38 der Goethe-Ausgabe im Deutschen Klassiker Ver­lag (vgl. Vor­bem. bei S. 1). Auf den angegebenen Seiten begründe ich, warum Eckermanns Gespräche mit Goe­the nicht in die vor­lie­gen­de Ge­sprächs­aus­wahl ein­be­zogen, sondern in einem eigenen Band der der Ausgabe dar­ge­bo­ten wer­den.

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›Kanzler‹ Friedrich (Theodor Adam Heinrich) von Müller (1779-1849)
Kreidezeichnung von J.J. Schmeller (1824)
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