BILDER FONTANES GEGEN DEN TOD. VOM VERSTECKSPIELEN ZUM KRYPTISCHEN ERZÄHLEN
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Weise auf,
letzteres mit ziemlichem Sarkasmus, wenn Schachs embryonale
Todeshaltung in der Kutsche der kontemplativen Versunkenheit
des Martin Luther in Zacharias Werners Weihe der Kraft
angeglichen wird.63
Darüber hinaus – so meine Interpretation
– hat Fontane Schachs vorgezogenen Wuthenower Todes- und
Heilschlaf als Hinübergrüßen zu seiner
erzählerischen Praxis inszeniert, mit seinen Zumutungen
chronisch Versteck in den eigenen Romanen zu suchen.
Denn neben den oder – als "Subtext" verstanden
– unterhalb der "realistisch"
erzählten, den Hauptkonflikt relativ nachsichtig behandelnden
Werkschichten hat er in vielen seiner Romane noch eine
verborgene oder "kryptische" Erzähldimension
eingerichtet.64
Dem problematischen Zeitverhältnis, das mit dieser weit radikaler
urteilenden versteckten Erzählhaltung
gegeben ist, die sich nicht allein den zeitgenössischen
Lesern versagt, gilt meine letzte Überlegung.
***
Ist ein solcher
Rückzug des Erzählers aus der Sprache und dem Denkverlauf der
eigenen Zeit nicht aberwitzig und wahnsinnsnah? Doch wie
sah es denn vormals mit dem Versteck des Knaben Theodor Fontane
auf dem Heuboden aus? Es war ja nicht die übliche
Verstecksuche, wo man von Fall zu Fall in fliegender
konzentrierter Hast nach einer notdürftigen
kurzzeitigen Versteckmöglichkeit sucht und dann ohne rechte
Gegenwehr auszuhalten hat gegen das Entdecktwerden.
Vielmehr spricht Fontane in seinen Kinderjahren
von einem immer wieder aufs neue
behaupteten Lieblingsversteck, das in seiner
Verläßlichkeit und Entrückung ein
einzigartiges Glücksgefühl erlaubt hätte. Ein solcher von den
anderen niemals eroberter Unter-
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63
"Das Stück, das in
der 'Gezeugstrecke' zu Freiberg mit einem 'Glück auf' für das 'im
Schooße der Erde' Begrabene, aus den Wassern ins
Leben zu Holende einsetzt, bringt zu Beginn des zweiten Akts Luthers
Wiedersehen mit den Eltern. Da der seit Tagen zum
Psalmenübersetzen in der Zelle Eingeschlossene auf nichts
anspricht, greift Vater Hans ein – '(er sprengt mit einer
Hacke die Thüre auf. Man erblickt durch sie an einem
Tische, auf welchem eine ausgebrannte Lampe steht, Luthern
mit off'nen starren Augen, wie leblos, da sitzend.)" Fleig,
a.a.O. (vgl. Fußnote Nr. 2), S. 184f.
64
Was ich Roman für Roman
in meiner 1973 vorgelegten und 1974 veröffentlichten Dissertation
über Fontanes "sich versagendes
Erzählen" nachzuweisen suchte (vgl.
Fußnote
Nr. 2).
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