LITERARISCHER VAMPIRISMUS. KLINGEMANNS ›NACHTWACHEN. VON BONAVENTURA‹
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dern
ein Nomen mit eigener, einschlägiger Bedeutung und als solches
auch Namensbestandteil eines Vogels:
»Wark«,
»wäre«
oder »warch«
wird etymologisch im Zusammenhang mit »würgen«
oder »Wolf«
abgehandelt; »Warg,
m. übelthäter, unhold, ungeheuer... anord. vargr
›wolf,
friedloser verbrecher‹ ... zu verbinden
mit ›würgen‹
...
»teuflisches wesen«; »wargengel,
warkengel,
m., bezeichnung des gemeinen würgers, lanius
excubitor L. auch
›neuntöter‹«.119
Campe
führt unter »Wargengel«
ausschließlich den Neuntöter auf, der heute meist als »Würger«
bezeichnet wird; seine Spezialität, die lebende Beute als
Vorrat auf Dornen aufzuspießen, führte zu dem Glauben, er
töte immer erst neun Tiere vor dem Verzehr. »Würger«
als Bezeichnung für den Vogel und den Engel war um 1800
offenbar geläufiger als heute, ein entsprechendes
Wortspiel Jean Pauls wird im Deutschen
Wörterbuch
verzeichnet.120
Merkwürdig nun, wie nicht nur der Warg- oder Würgengel
in verschiedenen Stellen des Alten
Testaments als Verbreiter der Pest bekannt wurde,121
sondern
nach dem »Handbuch
des deutschen Aberglaubens«
auch der Name »Neuntöter« in Pestgeruch kam:
»Neuntöter sind Kinder, die mit Zähnen oder
mit einer doppelten Reihe von Zähnen geboren werden.
Sie sterben bald und holen ihre nächsten 9 Verwandten
nach und verursachen Pest, wenn man ihnen nicht den Kopf
abschneidet.«122
Das steht so unter dem Stichwort »Nachzehrer«,
einem Wiedergänger oder Vampir in vielerlei
Gestaltungen; als Abwehrmittel gegen
den »dämonischen Toten (Neuntöter),
der seine Angehörigen nach sich ins Grab
zieht und verschlingt«, war vorzüglich das
Abtrennen des Kopfes oder das Durchstoßen des
Leichnams empfohlen. Und in Klingemanns
Vaterstadt sprach man nicht bloß von dergleichen,
wie aus der Schrift (1751) des Braunschweiger Predigers
Weitenkampf gegen die »alten Müttergen« hervorgeht,
»welche uns manches von dem Blutsaugen und Schmacken
der Todten etc. zu erzählen pflegen«,123
man handelte auch danach: »In Braunschweig (18.
Jh.) pflöckte ein Bauer einem Toten einen Stock
durch Zunge und Mund, weil er fürchtete,
nachgezogen zu werden.«124
Noch
einmal, dies Flügelwerk ist hier nicht als Beweisstück anzusehen,
sondern nur als der frühestmögliche
biographische Anhaltspunkt für den Komplex des
Wiedergängers, des lebendigen Leichnams, wölfischen
»Würgers« und überhaupt des vampiristischen
Treibens in Klingemanns Werk. Vergessen wir dabei auch
nicht, daß ein solch abgelö-
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119
Deutsches
Wörterbuch,
a.a.O., s v Warg
(s.
auch s v Werk) 120 ebd., s v Würger 121 ebd., s v Würgengel
122 Bächtold-Stäubli, Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens (Berlin u. Leipzig 1927ff.), Bd. VI, Sp. 813f.
123 Stefan Hock, Die Vampyrsagen und ihre Verwertung in der deutschen Literatur (Berlin 1900), S. 51
124 Bächtold-Stäubli, a.a.O., Sp. 815f.
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