WICKMANNS »WORTARTÜBERGÄNGE«
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Mit
der sprachstatistischen Intervention Wickmanns änderte sich auch für
mich die Situation. Zwar bezog auch er sich nur auf Schillemeits
Buch, doch indirekt war das Ergebnis meines Rohmanuskripts
mitbetroffen. Was
nun Wickmann vermutlich beweisen konnte, war nicht die
Nichtidentität Klingemanns und Bonaventuras, sondern
die Nichtidentität der Sprachmerkmale der
»Nachtwachen«
und der von ihm untersuchten Unterhaltungsromane
Klingemanns.
Nicht
bloß in der Trivialthematik weichen
»Die
Ruinen im Schwarzwalde«
(1798/99),
»Albano
der Lautenspieler«
(1802)
und auch –
obschon
ambitionierter –
»Romano«
(1800/01)
enorm ab von der intellektuell-demaskierenden Tendenz der
»Nachtwachen«,
sondern auch in den fundamentalen sprachlichen Mitteln. Unschwer
ist zu erkennen, daß etwa der Schlußteil des Romans
»Albano«,
also des zeitlich den »Nachtwachen«
nächstliegenden
der erfaßten Texte, nur einen Bruchteil der Vielfalt
an Konjunktionen und Modaladverbien
aufweist, die Bonaventura in den »Nachtwachen«
verwendet.
Aus der Armseligkeit allein schon in den syntaktisch
entscheidenden Konjunktionen folgen unmittelbar
tiefgreifende Abweichungen im
Sprachbau der Texte, die sich als solche strukturell auch in den
von Wickmann zum Kriterium gemachten
»Wortartübergängen« niederschlagen müssen.
Diese
Differenzen sind aber eben nicht schon autorspezifisch,
sondern nur werkspezifisch, – jedenfalls zeigt
sich eine vergleichbare Vielfalt an Konjunktionen
und Modaladverbien an anderem Ort
bei Klingemann, in seinen Artikeln nämlich, die er
während der Zeit der Entstehung der »Nachtwachen«
in der Leipziger »Zeitung
für die elegante Welt«
veröffentlicht
hat.
Damit
ist nun nicht gesagt, daß diese Artikel (Besprechungen von Büchern
meist und Theateraufführungen) einfach
dem Beweisverfahren der »Wortartübergänge«
unterzogen werden könnten; die
sprachlichen Verhältnisse sind nicht so eindimensional,
und Wickmann selber achtet bei seinem Verfahren
auf eine gewisse Homogeneität, indem er zum Vergleich »nur
Texte in ungebundener Sprache«, unter Ausschluß
speziell von Vers und »(Bühnen-)Dialog«
heranzieht und die nichterzählende
Prosa –
wie
derartige Besprechungen oder Schellings Schriften –
überhaupt
nicht berücksichtigt.16
Er
hat dafür gute Gründe, die in dem Besonderen seines
Verfahrens der Wortartübergänge
liegen.17
Nun
meine ich aber schon mit dem Exklusionsverfahren
von 1973 nachgewiesen zu haben, daß man mit
vergleichsweise bescheidenem Aufwand
an Sprachstatistik auch gegenüber
nicht-erzählender Prosa zum Erfolg kommen
kann. Lassen
wir uns nur nicht irre machen durch philologische
Doktrinen, die zwischen fiktionalen und
nicht-fiktionalen Texten am liebsten ein totaliter
aliter behaupteten, und fragen wir nach
vernünftig zu sondierenden Identitätsmerkmalen
zwischen den erzählenden »Nachtwachen«
und
diesen Besprechungen Klingemanns. Und zwar
nach solchen Merkmalen,
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16 Dieter
Wickmann, Zum Bonaventura-Problem:
Eine mathematisch-statistische Überprüfung der
Klingemann-Hypothese.
In: LILI
(Zeitschr. für Lit.-wiss. u.
Linguistik) 1974
(Heft 4, erschienen erst im Herbst 1975), S 13-29 (S. 15f.)
17
Siehe dazu Wickmann, S. 18ff.
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