SHAKESPEARE ALS DEMIURG UND WEGBEREITER DES TRANSZENDENTALISMUS. –
OPHELIAS ROLLENWAHN
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schen den Ansprüchen ihrer Rolle, der sie sich noch verpflichtet weiß (um den Wahnsinn ahnend), und dieser frei wählenden »Ich«-Instanz, an die eigentlich auch er appelliert, wenn er mehr Freizügigkeit gegenüber der alten Rolle verlangt. Ophelia entzieht sich dem nicht einfach, sie bittet allerdings um Beistand, um sich vor sich selbst zu verantworten und ihrer Verwirrung zu entkommen: »Hilf mir nur meine Rolle zurückzulesen, bis zu mir selbst. Ob ich denn selbst wohl noch außer meiner Rolle wandle, oder ob alles nur Rolle, und ich selbst eine dazu ...«. Und hier versagt Kreuzgang, der nichts als ihre zweite Alternative gelten läßt, alle Differenzen zwischen Bühnen- und Lebensrolle herunterspielt, da er in allem gleichermaßen nur den einen Prozeß des Sichauflösens oder »Verwandelns« am Werke sehe und gegen solch universelles Sterben im Grunde nur den Verzicht aufs Leben, das »Zerreißen« des Papiers als Abhilfe weiß. Seine Theater- und Rollenmetaphorik wird hier totalitär, verschließt sich ihrem Hilfegesuch und bringt ihn auch intellektuell um das Artistische, reflektiert sich in der Schwebe Haltende ihres Wahns. Statt derart »zurückzulesen«, setzt denn Ophelia alles auf ein »Fortlesen bis zum Ende und zu dem exeunt omnes, hinter dem dann doch wohl das eigentliche Ich stehen wird«: sie sucht den Tod, so nur hofft sie doch noch aus dem behaupteten Sterberepertoire herauszufinden.
Ihre Suche nach dem Selbst hatte sie immer schon exemplarisch verstanden, metaphysisch zur Erkundung »des Menschen« und seiner traumähnlichen Substantialität. Wenn sie dazu schreibt: »Die Alten hatten Götter, und auch einen darunter, den sie Traum nannten, es mußte ihm sonderbar zu Muthe sein, wenn es ihm etwa einfiel sich für wirklich halten zu wollen, und er doch immer nur Traum blieb. Fast glaube ich der Mensch ist auch solch ein Gott ...«; dann ist sie beinahe auf dem Punkte, auf dem das sich selbst befragende »Ich« in Fichtes Schrift »Die Bestimmung des Menschen« (1800)46 gegen Ende des Buches »Wissen« anlangt:
»Ich: Es gibt überall kein Dauerndes, weder außer mir, noch in mir, sondern nur einen unaufhörlichen Wechsel. Ich weiß überall von keinem Sein, und auch nicht von meinem eignen. Es ist kein Sein. – Ich selbst weiß überhaupt nicht, und bin nicht. Bilder sind ... Es gibt überall kein Dauerndes, weder außer mir, noch in mir, sondern nur einen unaufhörlichen Wechsel. Ich weiß überall von keinem Sein, und auch nicht von meinem eignen. Es ist kein Sein. – Ich selbst weiß überhaupt nicht, und bin nicht. Bilder sind ... Ich selbst bin eins dieser Bilder; ja, ich bin selbst dies nicht, sondern nur ein verworrenes Bild von den Bildern. – Alle Realität verwandelt sich in einen wunderbaren Traum, ohne ein Leben, von welchem geträumt wird, und ohne einen Geist, dem da träumt... «.47
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46 Johann Gottlieb Fichte, Die Bestimmung des Menschen (Berlin 1800). Zitiert nach: Philosophische Bibliothek Bd. 226 (Heidelberg 1962), S. 81 47 Fichte, Die Bestimmung <... >, a.a.O., S. 81. – Schon in Jean Pauls Clavis Fichtiana seu Leibgeberiana (1800) wird Fichtes Bestimmung, besonders ihrer konfusen »Popularität« wegen, vor allem anderen an-
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