GOETHES LETZTES JAHRZEHNT. AUSGABE LETZTER HAND
_______________________________________________________
bestärken ihn
in seinem Vertrauen zum deutschen Publikum,
und auch die großen Rezensionen von
Schewyrjow im Moskowitischen
Boten
1827,
von Carlyle in der Londoner Foreign
Review
und
J.-J. Ampère
im
Globe
1828 finden Goethes Anerkennung. Um so
überraschender, daß er den im Sommer 1831 abgeschlossenen
Faust
II
versiegelt und trotz aller Proteste der Freunde, denen
er die Helena
noch so ans Herz gelegt hatte, für den Nachlaß
bestimmt. Auch darüber ist noch zu reden.
So
sehr ist er damit beschäftigt, »dasjenige was von mir auf dem Papyr
schwarz und weiß übrig bleibt, in Zucht und Ordnung zu
bringen« (17.6.1825 an
Marianne v. Willemer), daß er öfter wie hier sein
längeres
Schweigen in der Korrespondenz zu entschuldigen
hat, einmal sogar zornig die reizende Jenny v. Pappenheim
anfährt, als sie ihn von seinen Manuskripten
wegzulocken und zu Ottilies Besucher L. Tieck
heraufzuholen versucht (»wenn ich tot bin,
macht's keiner«). Zudem muß er auf kleinere
Nebenarbeiten wie zu den antiken
Philoktet-Tragödien verzichten,
hätten doch letztere ihn noch ein Vierteljahr gekostet,
das er »nicht mehr nebenher auszugeben
habe« (20.5.1826 an
Zelter). Zuletzt
freilich, nach dem Abschluß von Faust
II,
muß
die Erschöpfung sehr groß gewesen sein;
im Brief vom 4.9.1831, in
dem er Zelter die Versiegelung des
Faust-II-Manuskripts
ankündigt, bekennt er, »gar zu vielerlei Bauwerk
angelegt« zu haben und dies alles –
namentlich
die einst als Trilogie
geplante
Natürliche
Tochter –
nicht mehr
ausführen zu können. Seinen Wettlauf mit dem Tod aber hat
Goethe, soweit jedenfalls, nicht verloren
und über Erwarten viel gerettet.
Für
ungesichert hält er noch sein naturwissenschaftliches Werk, vor
allem die Farbenlehre.
Würdigungen wie die 1823 von mehreren Forschern
verfaßte Besprechung seiner naturwissenschaftlichen Schriften
in der Jenaischen
Allgemeinen Literatur-Zeitung
oder die zustimmenden
Referate auf dem Kongreß der ›Versammlung der deutschen
Naturforscher und Ärzte‹ 1828 in Berlin
beruhigen ihn nicht. Im August 1829 vertraut er
dem belgischen Mathematiker und
Astronomen Quetelet an, die eigene Position
als »Physiker« noch nicht gefestigt zu sehen
und bittet ihn um Mitteilung dessen, was er auf dem
bevorstehenden Heidelberger
Kongreß über sein Werk zu hören bekäme. So gelähmt pflegt
Goethe freilich nur das Schicksal seiner Farbenlehre
zu verfolgen, mißtrauisch und eifersüchtig
Vorlesungen über die Newtonsche Lehre bei benachbarten
Hochschul- und Gymnasiallehrern zu
beobachten oder überschwenglich ein zustimmendes Wort
des Vorsitzenden einer »Physikalischen
Gesellschaft« in Jever zu begrüßen. Auf
anderen Gebieten hingegen ergreift er die
Gelegenheit beim Schopf, fügt Sorets
Übersetzung der Metamorphose
der Pflanzen selbstbewußt
Aufsätze
über die Geschichte der eigenen botanischen Studien
und die Wirkungsgeschichte der Metamorphose
hinzu oder nimmt den Pariser
›Akademiestreit‹ zwischen den Zoologen Cuvier
und Geoffroy 1830 zum Anlaß, nach Vertiefung der
theoretischen Kontroverse die
eigene »synthetisierende« Forschungsweise in der
vergleichenden Anatomie
biographisch zu entwickeln. Und während Goethe
in der Witterungskunde,
für die er eine Reihe von Beobachtungsstationen
im Großherzogtum errichten ließ, gleichwohl
seine Skepsis und wachsende Resignation eingesteht und auch
- 19 -