BILDER FONTANES GEGEN DEN TOD. VOM VERSTECKSPIELEN ZUM KRYPTISCHEN ERZÄHLEN
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andere
Grund liegt in
der gesellschaftspolitischen Radikalität
dessen,
was er da kryptisch vortrug:
Den Akt des Ehebruchs verknüpfte er in einer
förmlichen Tiefentektonik jedesmal mit dem Erzählanfang,
der
sich Herkommen und Besitz der Akteure
gewidmet hatte, und ebenso mit dem Erzählende der rituellen
Beilegung des Ehekonflikts im Duelltod des
Liebhabers und Suizid der Ehefrau. Es waren also die
Fundamente der Wilhelminischen
Gesellschaft, die in der Nötigung zu Ehebruch
und Tod vom kryptisch argumentierenden
Erzähler in aller Form als mörderisch und
selbstzerstörerisch definiert wurden.
Dieser
Geheimprozeß gegen Lebenszeremoniell
und -berechtigung der herrschenden
Schichten Preußens betraf nun allerdings den
Romancier Fontane mit.
In dem Maße, als er sich in die Zonen der
Sprachlosigkeit seiner Zeit nur mit Hilfe einer
eigenen, nicht-öffentlichen Erzählweise
vorarbeiten konnte, schloß
er auch spätere Leser von wesentlichen
Informationen aus und sich selbst von einer
entsprechenden Rezeption und
Würdigung.
Denn
eine Dechiffrierung der kryptischen – besonders in den
Ehebruchsromanen im Kern sexualsymbolisch
organisierten – Erzählschichten war nicht
absehbar für Fontane. In der Tat versagte die
überkommene, primär philologisch geübte
Hermeneutik davor. Erst die Psychoanalyse und Verhaltensforschung
machten empfänglich für allerlei symbolisch
verschlüsselte Verhaltensformen (oft
Übersprungsbewegungen und
Verlegenheitsgebärden) der Akteure, bedurften jedoch
ihrerseits einer Gegenkorrektur durch
textgetreuere Verfahren der Interpretation. Und selbst so noch
erwies sich das psychoanalytisch inspirierte
Programm einer Tiefenhermeneutik,
wonach Äußerungen von ungeäußerten Zwängen
wesentlich mitformuliert und entsprechend
verzerrt oder deformiert werden, als unzulänglich.
Hat doch Fontane die politische
Obszönität seiner Zeitromane nicht nur ästhetisch
bewußt durchformuliert, sondern so intensiv
dargestellt, als suizidäres
Lebensgesetz und zeitbeherrschenden
Bann, daß dieser vermutlich weitestmögliche Horizont der Zeit
gleichsam ins Werk emigriert und dort ungelöst
präsent geblieben ist.
Für
solch befremdende Traditionsfeindlichkeit reicht eine Bezeichnung wie
"unzeitgemäß" nicht mehr zu.
So wählte ich denn in meiner Dissertation "gegenzeitig"
als Behelfstitel,
um dem Axiom zu widersprechen, man könne nicht
anders als sich auf dem Boden der Erfahrungsmöglichkeiten
"seiner" Zeit zu bewegen, ein jeder hätte
mehr oder minder auf der Höhe oder doch schon wieder bahnbrechend
zu sein. Denn
Fontane fand in seiner Hingabe des Zeitromanciers anscheinend
ein epochales Geheimnis heraus und ist darum
selber nicht einzufangen in solchen "Horizont"-Begriffen.
Und auch nicht
einfach einem entwickelteren
Bewußtsein zuzuschlagen, so als wäre er ein "Vorläufer"
Freuds gewesen (dessen Erfahrungen freilich
Fontanes Diagnose in wesentlichen Punkten bestätigen).
Wird doch angesichts so gravierender
Ausfälle von Verständnis, daß auch in der
Sache fortgeschrittenere Verfahren
der Psychoanalyse und Literaturwissenschaft
nahezu ein Dreivierteljahrhundert
lang nicht von sich aus anzusetzen wußten, geradezu der
Ausbruch aus den
herkömmlichen Modellen der
Traditionsbildung zur dringlichsten Forderung.
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