LITERARISCHER VAMPIRISMUS. KLINGEMANNS ›NACHTWACHEN. VON BONAVENTURA‹
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die auch eine
sprachstatistische Behandlung zulassen: Denn
bei dem für die Klingemann-Hypothese verheerenden
Ergebnis Wickmanns, das sie bei einer
Gegen-Wahrscheinlichkeit von etwa 1:5000 förmlich
abschmetterte, muß jede philologische
Antwort zunächst auf dem Boden der Sprachstatistik selber
erfolgen.
Welche
Möglichkeiten eröffnen sich mit diesen Artikeln? Das
hervorstechende Merkmal ist das einer Gleichzeitigkeit zwischen
der Niederschrift der »Nachtwachen«
und einer bestimmten, noch auszumachenden
Sequenz dieser Klingemannschen Artikel in der
»Eleganten«.
Entstanden sein dürften die »Nachtwachen«
nämlich, wie über eine Reihe von Anspielungen auf
Zeitgenossen und auch technische Erfindungen
längst deutlich, weithin noch in der ersten Jahreshälfte
1804; die Beiträge Klingemanns, die 1802
einsetzen und sich über viele Jahre hin erstrecken, haben ihre
dichteste Abfolge gerade in den Jahren 1803
bis 1805. Diese Gleichzeitigkeit ist nun äußerst kostbar,
indem sich eine zweite Beobachtung
hinzugesellt: Wie sich mir schon seinerzeit beim Ermitteln der
sprachlichen Konstanten Bonaventuras
andeutete, gibt es in den »Nachtwachen«
gewisse Wortvorlieben, die offenbar recht
kurzfristig sind, jedenfalls nur für wenige
aufeinanderfolgende Einzelnachtwachen und
unabhängig von deren besonderen Sujets Bestand
haben. Setzt man der Einfachheit halber einmal
die Nachtwachen 1-8 als den einen großen Zeitraum der
Niederschrift an und die Nachtwachen 9-16 als den
zweiten späteren, so bevorzugt Bonaventura während
des ersten Zeitraums entschieden die folgenden
Wörter: »furchtbar«, psychisch »kalt«, »ächt«,
»wichtig«, »nie«, »weshalb« (kons.), kaus. und mod.
»indem«, »vielmehr« und die Präposition »gemäß«;
umgekehrt bevorzugt er in der zweiten
Schreibphase: »schrecklich«, »folgende«,
»zwar-aber«, »aber nur«, »vielleicht« ....
Nun
sind solche Vorlieben eigentlich nichts Uberraschendes, ähnlich
kann man sie auch bei anderen Autoren oder selbst
am eigenen Schreibverhalten zuweilen feststellen. Auch läßt sich
mit so wenigen spektakulären
Sprachelementen noch nicht ernsthaft statistisch
argumentieren. Wie aber, wenn man es hierbei wirklich nur
mit den gröbsten, in die Augen springenden Vorlieben zu
tun hätte und es bei einem Schriftsteller wie
Bonaventura auch substantiell einen
sprachlichen Wandel der Art gäbe, ein
Aufkommen und Abklingen verschiedenster und
unterschiedlich stark ausgeprägter
Vorlieben? Dann nämlich könnte sich die Identität
Bonaventuras mit Klingemann gleichsam seriell, wie in
Momentaufnahmen nachweisen lassen:
Unter der Hypothese, daß es im Sprachdenken eines Autors viele
kurzfristige Wort- und Ausdrucksvorlieben gibt,
solche, die sich auch in so unterschiedlichen Projekten wie
den erzählenden »Nachtwachen«
und diesen Besprechungen in der »Eleganten«
durchhalten und eben auch von Zeitpunkt zu Zeitpunkt
gemeinsam ändern, müßte es möglich werden,
die Niederschrift der »Nachtwachen«
anhand der datierten Artikel Klingemanns
in den großen Zügen selber zu datieren,
sie womöglich Nachtwache für Nachtwache als »work in
progress« zu verfolgen!
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