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hügelan kommen wir zu den Resten des Hauptgebäudes
der Stadt, des Tempels der „Stadtbewahrerin”
(Athena „Políouchos”),
populär auch als Athena „Chalkíoikos”
(„vom Haus aus Erz”) benannt. Denn der Mitte des 6. Jh. v. Chr.
errichtete Tempel war nach Pausanías außer mit einer
bronzenen Kultstatue der Göttin noch mit Bronze- oder
Kupferplatten mit mythologischen Szenen geschmückt,
darunter Herakles' Taten und die Geburt der Athene. Wie sie
so in voller Rüstung dem Haupte des Zeus entspringt,
dürfte sie im Geiste mancher Hopliten an der Spitze ihrer Phalangen
geschwebt haben. Mehrmals suchten angeklagte
Spartiaten in dem Tempel Asyl, so der spartanische
König Pausanías, der Nachfolger
des Leonídas und Bezwinger der Perser bei Plátaia (479 v.
Chr.). Um 478 v. Chr. von der Anklage wegen
hochverräterischer Kontakte –
des „Medismos” mit den Persern! – freigesprochen,
wurde er 470/469 erneut wegen dieses Hochverrats angeklagt und
flüchtete sich asylsuchend in ein Nebengebäude des Tempels.
Nach Thukydides mauerte man ihn daraufhin
in das Gebäude ein
und trug ihn erst kurz vor dem Eintritt des Hungertodes
hinaus, um das Heiligtum nicht zu entweihen. Der König
wurde sukzessive rehabilitiert und erhielt
um 400 v. Chr. sogar ein Grabmal neben dem des Leonídas. – Zu den
bedeutendsten Grabungsfunden aus dem Tempel der Athena Chalkíoikos
gehört der Marmortorso
eines Hopliten,
der möglicherweise König Leonídas
darstellt.
Von
dem Athenatempel selbst und der unmittelbar südlich
angrenzenden alten Agorá mit der Stoá sind nur noch kümmerliche
Reste zu sehen. Überhaupt stammen die meisten Bauten dieser
Akrópolis aus spätrömischer und byzantinischer Zeit, darunter
einige relativ gut erhaltene wie das wohl im 4. Jh. n. Chr. neben dem
Tempel errichtete sogenannte Zwei-Nischen-Gebäude und einige Ruinen
auf der gut 300 Meter weiter östlich gelegenen römischen
Agorá.
Hier
angekommen, fällt uns die Orientierung schwer. Wie schon beim
Theater und dem Athena-Tempel gibt es keine Hinweisschilder oder gar
Erläuterungstafeln und lassen uns auch die Karten unserer
Reiseführer in Stich. So irren wir von einem
Ruinenfeld oder Trümmerhaufen zum nächsten und rasten schließlich
eine Zeitlang unter dem abgebildeten Olivenbaum.
Postskript
August 2019: Die
von der British School at Athens seit 1905 vorgenommenen Grabungen
und Maßnahmen der (griechischen) Denkmalpflege haben seit unserem
Besuch von 1997 erfreuliche Fortschritte gemacht. So hat man
ockerfarbene Umgrenzungs- und Sicherungsmauern für die einzelnen
Gebäudekomplexe sowie Besichtigungspfade
mit Sitzbänken und Informationstafeln angelegt, die auch
Unsicherheiten bei der Bestimmung des jeweiligen
Objekts einräumen. Denn die Identität einiger Ruinen dieser
Akrópolis ist umstritten, wobei man sich durchweg auf die nur
ungefähren Angaben des Periegeten
Pausanías beruft. Die oben mit ihrer Polygonalmauer
abgebildete nördliche Stoá –
inmitten
byzantinischer Anbauten –
dürfte
jene berühmte „Perserhalle”
sein,
die Skulpturen der bei
Plataiaí
ein für allemal besiegten Perser und ihrer
Anführer als Atlanten präsentierte. Eine
Verhöhnung der Besiegten, wie wir sie ähnlich beim Zeustempel in
Agrigent
und
bei der Porta Nuova in
Palermo zu
Gesicht bekamen.
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