So.
22.8.99:
An
der Frühstückstafel in Gradil stellt sich uns eine Deutsche
lautstark als „Großmutter meines Enkelkinds” vor und beginnt
sogleich über den Mangel an Restaurants im Dorf Gradil zu klagen. –
Wir machen uns bald auf den gut 200 km weiten Weg nach Coimbra,
was wegen der von uns bevorzugten Landstraßen über zweieinhalb
Stunden dauert. Dabei kommen wir an vielen neuen Siedlungen vorbei,
und überhaupt scheint zumindest dieser Landstrich Portugals
sich im letzten Jahrzehnt wirtschaftlich gut erholt zu haben. Dies
freilich auch auf Kosten etlicher hergebrachter Eigentümlichkeiten
und Berufsgruppen, so findet man hier und andernorts kaum noch
Bauern mit Schlägermützen, nicht zu reden von den
Scherenschleifern, Waschfrauen und Schuhputzvirtuosen, die noch vor
wenigen Jahren in Wenders' ,Lisbon
Story’ (1994)
zu sehen waren.
Als wir den Rio Mondego in Coimbra überqueren,
zeichnet sich auf dem höchsten Punkt der Stadt schon unser Hauptziel
ab, die altehrwürdige
Universität mit
dem markanten Glockenturm der Universitätskapelle. Auf dem Weg
dorthin durchlaufen wir noch weitere Bereiche der Altstadt und
registrieren, dass hier doch noch etlicher Sanierungsbedarf besteht.
Einen wenig angenehmen Eindruck machen die Fakultätsgebäude für
Medizin und Naturwissenschaften; erstellt wurden diese
Betonschachteln erst unter Salazar, der hier einst eine Professur für
Wirtschafts- und Finanzwissenschaften innehatte. Gleich hinter ihnen
gelangen wir durch das barocke „Eiserne
Tor” („Porta
Férrea”) zu
Coimbras Juwel, dem auf einer Palastterrasse liegenden alten
Universitätsgebäude. Als Institution wechselte die Universität in
den ersten Jahrhunderten mehrmals den Standort; in Lissabon
gegründet, wurde sie zweimal wieder dorthin zurückverlegt und blieb
erst gegen Mitte des 16. Jh. endgültig in Coimbra.
Die
im Palastbezirk des ersten portugiesischen Königs eingerichteten
Gebäude liegen über den Resten einer Maurenfestung und eines
römischen Kastells. Welch herrliche Aussicht über die Stadt und den
Rio Mondego und wie großzügig der in U-Form angelegte Trakt des
Innenhofs
„Pátio das Escolas”!
Im
oben abgebildeten Säulengang der „Via Latina”
durfte
einst angeblich nur
Lateinisch gesprochen werden. Die Uhr des angrenzenden
Glockenturms
geht
gegenüber der Ortszeit eine Viertelstunde nach („das
akademische Viertel”);
eine der Turmglocken, die zu Beginn und Ende der Vorlesungen geläutet
wurde und zeitweise auch die Sperrstunde für Studenten verkündete,
hat wegen ihres als Gemecker gedeuteten Klangs immer noch den
Spitznamen „Ziege” („cabra”).
Der
Marquês
de Pombal,
der wie wahrscheinlich auch Luís
de Camões
einst
hier studiert hatte, ließ nach seiner Entmachtung der Jesuiten
Naturgeschichte als neues Studienfach einführen und die Bibliothek
im großen Stil entsprechend erweitern. Wir schließen uns der
Schlange der vor dem Gebäude Wartenden an. Unser Führer wechselt
ständig vom Portugiesischen ins Französische und Italienische,
gleichwohl sind einige Besucher entrüstet, weil sie keine
Erläuterungen in englischer Sprache erhalten. Die Bücherregale in
den drei Sälen verlaufen wie bei der Palastbibliothek
von Mafra
über
zwei Etagen hin, und wie dort hält man sich zum Schutz der kostbaren
Bücher vor Insekten eine Kolonie von Fledermäusen. Störend für
einen Bücherfreund, ja schon ungehörig ist die pompöse Ausstattung
mit operesk-allegorischen Deckenmalereien und Regalen mit
vergoldetem Schnitzwerk aus Rosen- und Ebenholz. In den
Lesesälen dufte nicht gesprochen werden, und zur Bestellung der
gewünschten Bücher standen ein Tintenfass sowie ein Glöckchen zum
Herbeirufen des Bibliothekars bereit.
Wir
schauen uns auch die angrenzende barocke Universitätskapelle an.
Ebenfalls prunkvoll über alle Maßen sind ihr manuelinisches
Portal
und
die mit gemalten Chinoiserien dekorierte Orgel. Unser für die
Kapelle zuständige Führer betonte übrigens wiederholt, dass
es die traditionelle Verschränkung von Kirche und Universität schon
längst nicht mehr gäbe.
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