MERLIN ODER DER ALTE GOETHE
DIE LETZTEN JAHRE (1823-32)
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Bildquellen: http://riowang.blogspot.com/2010/04/for-after-end-of-world.html Goethe-Ausgabe im 'Deutschen Klassiker Verlag' (Frankfurt am Main 1993), Abb. 12 in Bd. 38 (hg. v. Horst Fleig)
Im
August 1831 begibt sich Goethe mit seinen Enkeln nach Ilmenau am Fuße
des Kickelhahns. Am Vorabend seines letzten Geburtstags fährt
er in Begleitung des Ilmenauer Amtmanns Mahr auf den Berg, um
seine vor über 50 Jahren an die Bretterwand des Jagdhäuschens
geschriebenen Verse wieder zu lesen. Das
ist die Lebenstiefe der selbstgepflanzten und unheimlich
gewordenen Bäume im Ilmpark. Und
auch die Verse von eigener Hand, die ihm jetzt wie naturwüchsig und
erschütternd wieder entgegentreten, haben ein Eigenleben gewonnen.
Die beiden Schlußverse, die Goethe wiederholt: »Warte nur, balde
‹...›«, haben denselben Wortlaut und bedeuten ihm doch etwas
anderes; das »Du« ist kaum mehr das damals angesprochene,
mit dem damals Sprechenden identische, es ist vielmehr das
gegenwärtige, das im Bewußtsein der verflossenen ungeahnten Zeit
zuhört.
Der
nach Weimar Zurückgekehrte schreibt mehreren Freunden von diesem
Geburtstagsbesuch Ilmenaus. Nur Zelter erfährt dabei noch von dem
Kickelhahn-Besuch, für die anderen wird der Blick wie in Dornburg
feierlich auf die in Ilmenau und in den Bergwäldern Lebenden
gelenkt, die sich trotz mancher Fehlschläge und Entbehrungen in
ihrer herkömmlichen, ihm seit langem vertrauten Lebensweise zu
behaupten wüßten. Und auch ein genealogisches Band wird geknüpft,
durch die Enkel, die ihn begleiten sollten, »um die Geister der
Vergangenheit durch die Gegenwart der Herankommenden auf eine
gesetzte und gefaßte Weise zu begrüßen« (7.9.1831 an Reinhard).
Hier wie dort Abschiedsbilder,
die an die Aufhebung des Individuellen in das nur so vernünftig
überdauernde Allgemeine appellieren;
die allerdings in ihrer Erhabenheit weder Brüche und Ungereimtheiten
in der Überlieferung erkennen lassen noch andeuten, inwiefern das
aufzuhebende Alte dabei noch seine unerledigten und übergangenen
Einsichten und Impulse weitergeben könnte. Wieviel Goethe daran aber
lag, mögen noch zwei andere Themenbereiche zeigen, die ihn schon
seit Jahrzehnten beschäftigten, aber
erst jetzt von ihm als rebellische Todesbilder entdeckt werden:
archäologische Ausgrabungen und Fossilienfunde.
Seit 1827 haben ihm
F.W. Ternite und W. Zahn ihre Durchzeichnungen
von Wandgemälden aus Pompeji und Herculaneum
vorgelegt. Im Brief vom 19.10.1829
an Zelter nähert sich Goethe dem Thema, indem er zunächst die
Absurdität der Gegenwart beklagt, der gewöhnlichen, alle idealen
Verhältnisse zerstörenden Präsenz; bei Zelters jüngstem Besuch
habe er dies wieder einmal erfahren müssen. Wie unvermittelt erzählt
er ihm dann von »dem Wundersamsten des Altertums«, der »tüchtigen«,
unversehrten Existenz dieser ausgegrabenen
Kunstgebilde nach beinahe 2000 Jahren und dem dadurch erweckten
Gefühl,
daß der »Augenblick« nur »prägnant und sich selbst genug« sein
müsse, um gegen die Zeit bestehen zu können.
Wenige
Tage nur vor seinem Tode, in drei großen Briefen vom 10. bis
15.3.1832 an W. Zahn, Zelter und C. B. Cotta führt
Goethe jene beiden verschütteten Lebensbereiche zur
Veranschaulichung seiner eigenen Situation
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