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Bildquelle:
NFG Weimar. Wiedergabe nach der Goethe-Ausgabe im 'Deutschen Klassiker Verlag' (Frankfurt am Main 1993), Abb. 9 in Bd. 37 (hg. von Horst Fleig)
Mit
diesem Vergleichsbild treten wir in die Innenseite seiner
eremitischen Altersexistenz, wenden uns von seiner Abwehr
zeitgenössischer Forderungen zur
Dimension der Erinnerung und Selbstprüfung.
Erinnern
als feierndes Gedenken ist ihm wie das sehnsüchtige Zurückblicken
auf die Vergangenheit verhaßt.
Wenn je ein Ereignis für jemanden von Bedeutung war, ruft er am
4.11.1823 beim Toast eines Gastes auf die Erinnerung aufgebracht aus,
habe es sich ihm eingeprägt, habe längst die Person verändert und
lebe so, produktiv, noch über die Gegenwart hinaus.
Kenntlich ist dies Kriterium der Produktivität auch in Goethes
Beschäftigung mit seinen älteren Lebensverhältnissen, wenn er sich
von unausgeführten, steckengebliebenen,
aber noch wiederzubelebenden Vorhaben berühren läßt, wenn ihn etwa
die Lektüre seines Briefwechsels mit Schiller 1826 zur
Wiederaufnahme seiner Jagd-'Novelle'
anregt oder er in Erwartung eines Abgusses des Antinous von
Mondragone 1828 mit dem Diktat seines 'Zweiten
Römischen Aufenthalts'
beginnt. Sehr genau weiß er außerdem um die prekäre
umprägende Tendenz des Erinnerungsvermögens, das immer auch vom
gegenwärtigen Urteils- und Vorstellungsvermögen
lebt. Er hat dies ja im Titel 'Dichtung
und Wahrheit'
programmatisch bedacht und im Brief vom 17./27.1829 an Ludwig I. von
Bayern, der etwas naiv auf Goethes römischen Spuren zu wandeln
suchte, noch einmal deutlich auseinandergesetzt.
Und
dennoch, bei aller kühlen und selbstbewußten Wachsamkeit wird
Goethe zunehmend von den eigenen Erinnerungen bedrängt.
Anders als die - immer selteneren - Erinnerungsappelle
in Briefen an alte Vertraute, die im Bewußtsein des gemeinsam
Durchlebten noch Kraft und Trost spenden können, scheinen
die ureigenen, mit niemandem mehr geteilten Erinnerungen die
Vereinsamung zu verstärken.
Besonders in den Briefen und Gesprächen der zwei, drei letzten
Lebensjahre tauchen sie dichter denn je auf, Erinnerungen an das
Puppentheater, das er mit etwa vier Jahren von seiner Großmutter
geschenkt bekam, an die pedantische Betreuung seiner ersten
kleineren Arbeiten durch den Vater, das Konzert des sechsjährigen
Mozart 1763, an den zur Abschreckung aufgesteckten Kopf eines
Frankfurter Aufrührers, Erinnerungen an seinen Haß auf die
»Prachtschnörkel« des Rokoko, seinen musikalischen Enthusiasmus in
der Leipziger Studentenzeit oder an den Frankfurter pietistischen
Zirkel um Susanna Katharina v. Klettenberg. Solche
Einzelerinnerungen, denen sich noch viele andere zum neu entstehenden
4. Teil von 'Dichtung
und Wahrheit'
zugesellen und
die bis in die erste Weimarer Zeit herüberreichen, hätten
nicht diesen irritierenden zwanghaften Charakter,