MERLIN ODER DER ALTE GOETHE
DIE LETZTEN JAHRE (1823-32)
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Bildquelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/Marianne_von_Willemer
Von
den älteren Briefwechseln ist der mit Marianne
und Jacob v. Willemer
der künstlichste. Mit Willemer, dem offiziellen Adressaten, treibt
Goethe ein
pläsierliches Doppelspiel,
das vom eigentlichen Adressaten abzulenken vorgibt und im Grunde nur
noch verbergen will, daß diese Beziehung zu Marianne längst
erkaltet ist, aufgehoben und »kohobiert« zur
'Divan'-Poesie,
zu Liedern, die Goethe ihrerseits schon »wie eine abgestreifte
Schlangenhaut« vorkamen (12.1.1827 zu Eckermann). Glaubwürdiger als
der notorische Hinweis auf ein mögliches Wiedersehen und sein
Dauerinteresse an den Reiserouten und -beschreibungen der Frankfurter
Freunde erscheint jedenfalls seine Freude über Delikatessen wie
Artischocken, Brenten, Mostsenf und Pfeffernüsse sowie
über exquisites Spielzeug für die Enkel, von denen der 10jährige
Wolfgang übrigens schon gut mit der erotischen Hudhud-Symbolik des
Divans
vertraut sei.
Einmal
noch läßt sich Marianne von diesen spielerischen Verkleidungen
innerer Distanz täuschen, ist verwirrt, als Goethe ihr im
Oktober 1825 die
Verse von Myrt' und Lorbeer, die »hoffnungsvoll sich abermals
vereinen« wollen, zum Zeichen lyrischer Kongenialität zusendet.
Auch protestiert sie leise gegen seine überdiskrete Anspielung
auf die Frankfurter Tage 1815 in den 'Tag-
und Jahresheften'
von 1830 (»die
Erwähnung jener Tage«, schreibt sie, »gleicht einem Liede, wozu
nur einige die Melodie kennen, für die meisten bleibt es
ungesungen«). Sie steht ihm aber selbst in der
Diskretion nicht nach: Seinen Wunsch, sie möge ihre Briefe, die er
ihr Wochen vor seinem Tode zusammen mit Versen auf schwarzem Zierrand
zurücksendet, bis zu dieser »unbestimmten Stunde«
versiegelt lassen, übertrifft sie noch und läßt bis zum eigenen
Tod 1860 von ihren Beziehungen nichts an die
Öffentlichkeit dringen.
Angesichts
ihrer Verwirrung ist nun allerdings anzumerken, daß
sich die Briefkunst des alten Goethe überhaupt durch ein
verführerisches dialogisches Rollenspiel auszeichnet.
Am 10. 4. 1827 skizziert er Zelter die Technik des ehemaligen
Fürstprimas des Rheinbundes v. Dalberg, durch Standardtexte mit
persönlich klingenden Floskeln der Unmenge von Korrespondenten Herr
werden zu wollen. Auf keinen Fall habe er selber einmal in diese
Situation kommen mögen. »Daraus folgt denn, daß
ich von je her seltener antwortete, und dabei bleibt's denn auch
jetzt in höheren Jahren aus einer doppelten Ursache: keine leeren
Briefe mag ich schreiben, und bedeutende führen mich
ab von meinen nächsten Pflichten und nehmen mir zu viel Zeit weg.«
Wirklich sind (abstrakt-)›bedeutende‹ Briefe rar und kreisen dann
durchweg um das Wesen der Individualität und um den Tod, besonders
anrührend in der kleinen Gattung
der Trost- und Kondolenzschreiben,
darunter der wohl schönste aller Briefe, das für Carl Augusts
Nachfolger Carl Friedrich bestimmte genealogisch-metaphysische
Schreiben vom 18.7.1828 an den Weimarer Kammerherrn v. Beulwitz.
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