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GOETHES LETZTES JAHRZEHNT. SICH-SELBST-HISTORISCH-WERDEN

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Quellen: www.goethezeitportal.de/wissen/topographische-ansichten/orte-und-zeiten-in-goethes-leben-gartenhaus.html   

www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/DAMRHCJYCRWECUDCMQYZUZ6Q72IZQ4UI

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man mag ja sogleich an Hofmannsthals Terzine 'Über Vergänglichkeit' denken (»Und daß mein eignes Ich, durch nichts gehemmt,| Herüberglitt aus einem kleinen Kind| Mir wie ein Hund unheimlich stumm und fremd«). Auch bei Goethe spukt diese Empfindung schon in früheren Jahren gelegentlich vor. Aber erst im Al­ter kann sie eigentlich als Lebensgefühl so durchgreifend und erschütternd sein; erst im Bewußtsein des To­des können wohl Erinnerungen überhaupt so beunruhigend und unheimlich werden, da sie das Leben nun zu­gleich auch von seinen Anfängen her in Frage stellen. ›Sich-selbst-historisch-Werden‹ ist Goethes eu­phe­mi­sti­sche Bezeichnung für diese Empfindung eines Sich-selbst-Dahinsterbens.

   Das Gefühl ist offenbar ambivalent, unheimlich, aber auch faszinierend und vielleicht gar insofern tröstlich, als der biologische Tod das sich selbst fremd gewordene Ich so entscheidend gar nicht mehr treffen kann. Fe­ster als an Einzelerinnerungen ist dieses Gefühl nun an stark erinnerungsbesetzte Lebensbereiche gebunden; für den al­ten Goethe in Weimar vor allem an das 1776-82 von ihm bewohnte Haus im Ilmpark, an den Garten, dessen älteste Lebewesen, die Bäume, ihm als Vergleichsbild für den so wunderbar noch geglückten 'Faust'-Abschluß in den Sinn kamen. F. v. Müller notiert am 16.3.1824: »Er erzählte, daß er heute in seinem Parkgarten gewesen, öf­ter dort verweilen wolle, wenn es ihm keine Apprehension gebe. Die alten, selbstgepflanzten Bäume, die al­ten Erinnerungen machten ihm aber ganz unheimliche Eindrücke oft.« Anfang und Ende stoßen hier hart an­ein­ander. Gerade an einem solchen Quell der Erinnerung wird das Nichterinnerbare deutlich, die verschollene Lebenszeit, die wie das Wachstum der Bäume nicht mehr zu verfolgen ist. Stärker aber als alle Apprehension und Beklemmung muß doch die Faszination gewesen sein, denn Goethe hat sein altes Gartenhaus am Stern im Mai 1827 noch einmal für einige Wochen bezogen. J.-J. Ampère nimmt hier von ihm Abschied; auf der Bank unter den hohen Bäumen sitzend, wird er von Wehmut ergriffen, und plötzlich auch Goethe, als er von ihrer Anpflanzung spricht. C. v. Holtei vernimmt hier im Mai 1827 jene überraschende frühe Andeutung des nahenden Todes: »so mag sich die Schlange in den Schwanz beißen, damit es ende, wo es begonnen«. Wobei wir noch daran denken müssen, daß sich im Ilmpark seit langem Klauers Kopie des »Schlangensteins« befand, der in Goethes Geburtsjahr in Herculaneum ans Tageslicht geholt worden war; und daß Goethe seine älteren Ar­bei­ten und Schaffensperioden gern als abgestreifte Schlangenhäute bezeichnete. Im Juni 1827 schließlich sucht noch der Paläontologe Sternberg den Garten auf und bewundert die Rosa turbinata, »welche bis unter das Dach heraufgezogen wird, so daß er eigentlich mitten in einem Rosenbusche wohnt«. Wir dürfen uns hier Merlins Wei­marer Grab denken.


Von seinen Jenaer Inspektionsbesuchen abgesehen, hat Goethe nach der Böhmenreise 1823 Weimar nur noch zweimal verlassen, zum großen Dornburger Aufenthalt 1828 nach Carl Augusts Tod und zum fünftägigen Be­such Ilmenaus 1831. In Dornburg schreibt er den wundervollen Brief für Carl Augusts Nachfolger, der in sym­bo­lischer Anschaulichkeit von den drei hochgelegenen, ein Jahrtausend repräsentierenden Schloßanlagen auf die umliegenden Siedlungen führt und zuletzt das durch alle Kriegswirren und Entbehrungen hin »folgereiche Tun« der »vernünftigen Welt« konstatiert, die als ein großes unsterbliches Individuum anzusehen sei.


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Goethes Gartenhaus im Weimarer Ilmpark. Oben mit dem 1777 angebauten
und um 1795 abgetragenen hölzernen Altan (Aquarell von G.M. Kraus)
Darunter ein Kupferstich von L. Schütze nach der Zeichnung von O. Wagner
(1827), mit einem Faksimile der 1828 von Goethe hinzugesetzten Verse.
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