MERLIN ODER DER ALTE GOETHE
DIE LETZTEN JAHRE (1823-32)
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sie für später, falls sie dann noch aufschlußreich seien und den
Gegner nicht mehr verletzen könnten, seinen Nachlaßherausgebern zur
Verfügung zu stellen. Sind diese Rücksichten noch leicht von seiner
antipolemischen Einstellung her zu verstehen, so deutet Goethes
Altersneigung, seine Gedanken und Arbeiten überhaupt zu verbergen
und zurückzuhalten, ja, einfach zu verstummen, auf jenes
tiefere Lebensgefühl seiner Unzeitgemäßheit.
»Wenn man in
und
für
die
Zeit schreibt, ist es gar zu unangenehm, zu finden, daß man nichts
auf sie wirkt«, erläutert er am 17.5.1829 dem Weimarer Kanzler die
Aufgabe von 'Kunst
und Altertum'.
Und im Tagebuch vom 13.3.1831 findet sich der Eintrag: »Wichtige
Betrachtungen in's Allgemeine und Besondere. Frage ob man sie nicht
aus dem Stegreife diktieren und alsdann sekretieren sollte; was jetzt
ganz unnütz zu sagen wäre, könnte doch einem genialen
Nachfolger wie ein altes Glas Wein zu glücklicher Aufregung dienen.«
Er hat sie nicht
mehr
diktiert, so wie er wohl manch kunstkritische Betrachtung nicht mehr
schriftlich ausgeführt hat.
Über
das krasse Beispiel der Farbenlehre haben wir uns jener
Gegenstrategie des alten Goethe genähert, seinem Rückzug
aus dem Horizont der Zeit. Nichts von geistiger Altersdiätetik,
Entspannung oder gar Aufheiterung des nun einmal unvermeidlichen
Abschieds, sondern Widerstreben auch hier.
Feiern des
bereits Geleisteten stößt ihn wie das dazu aufgelegte
»enkomiastische« Publikum eher ab, mit all den Ehrungen durch
Geburtstags- oder Genesungsfeiern, Porträts, Ehrendoktorwürden und
ungezählte Widmungen sucht er nach Möglichkeit produktiv fertig zu
werden, gibt Rechenschaft von seiner Entwicklung und deutet auf noch
anzugreifende Arbeiten. Auf Varnhagen v. Enses apologetische Sammlung
'Goethe
in den Zeugnissen der Mitlebenden'
entgegnet er 1824
mit dem –
erst im Nachlaß
gefundenen –
Vorschlag, auch
schon »mißwollende
Zeugnisse«
für spätere Literarhistoriker zu sammeln, ein Unternehmen, zu dem
er dann im Oktober 1827 seinen Großneffen A. Nicolovius brieflich
auffordert, als ihm dieser sein ebenfalls tendenziöses Sammelwerk
'Über
Goethe'
vorlegt.
Auf
seinen Weltruhm aber antwortet Goethe mit einem Begriff, den er 1827
selbst geprägt, durchdacht und noch
im selben Jahre in 'Kunst
und Altertum'
VI 1 mit vielen
Beiträgen zur europäischen wie asiatischen Literatur ausgebreitet
hat: ›WELTLITERATUR‹. Diesen
Zusammenhang spricht er selbstverständlich so nicht aus, doch läßt
sich unschwer erkennen, daß seine wiederholte Versicherung, das
Ausland blicke seit einiger Zeit mit großem Interesse auf die
deutsche Literatur, die wie keine zweite gegenwärtige sich um die
anderen Literaturen verdient gemacht habe, im wesentlichen nur durch
die Resonanz seiner eigenen Werke gedeckt
ist. Also etwa
durch die von A. Stapfer 1821-25 in Paris herausgegebenen vier Bände
'Oeuvres
dramatiques de J. W. Goethe',
eine Reihe von englischen und französischen Einzelübersetzungen,
Byrons 'Sardanapalus-Widmung'
1823 (»to <...>
the first of
existing writers«), den Aufsatz 'Life
and Genius of
Goethe'
von G. Bancroft 1824
in der Bostoner 'North
American Review',
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