ZUR KONTROVERSE ZWISCHEN SLOTERDIJK UND HABERMAS
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Für
die Wenigen, die sich noch in den Archiven umsehen, drängt sich die
Ansicht auf, unser Leben sei die verworrene Antwort auf Fragen,
von denen wir vergessen haben, wo sie gestellt wurden.”17
An
eine solche Archivrecherche werde ich mich in den nächsten
Kapiteln machen.
Mehrmals
rekurriert Sloterdijk auf den Menschen als das Gattungswesen, das in
seiner fundamentalen Bedürftigkeit – er zitiert das angeblich von
Herder stammende Schlagwort
„Mängelwesen” – auf
die Optimierung seiner kulturellen Institutionen angewiesen sei und
nun davor stehe, sich für oder gegen eine so nie gekannte
(genetische) Selbsttransformation zu entscheiden. Diesen
Begriff der menschlichen ‚Gattung’ stellt Jürgen Habermas, der
die Tendenz in Sloterdijks Elmauer Vortrag als „genuin
faschistisch” bezeichnet hatte, in seiner zwei Jahre später
veröffentlichten Schrift ‚Die
Zukunft der menschlichen Natur’ (2001)
in den Mittelpunkt seiner Überlegungen und bestimmt sie neu. Denn
diese bei Sloterdijk vor allem die Entwicklungsoffenheit
des Menschen
bezeichnende anthropologische Kategorie hat für
Habermas primär normativen, verpflichtenden
Rang,
da sie das interkulturelle Selbstverständnis des Menschen
ausmache.18
Er spricht geradezu von
einer „Gattungsethik”,
die den Menschen dazu verpflichte, „jene
Wir-Perspektive einzunehmen,
aus der wir uns gegenseitig als Mitglieder einer inklusiven
Gemeinschaft ansehen,
die keine Person ausschließt.”19
Am verbindlichsten für
alle nur denkbaren Konflikte habe Kant diese Wir-Perspektive in
seinem Kategorischen Imperativ formuliert, dem zufolge eine
Person niemals als Mittel gebraucht
werden dürfte. Zu einem Mittel aber für die Interessen und
Vorlieben anderer würde man nach Habermas den betroffenen Menschen
durch
ein vorgeburtliches genetisches Design
machen. Der so
Manipulierte hätte nie mehr die Chance, die Entscheidung des Dritten
(in der Regel seiner Eltern) ergebnisoffen zu diskutieren und zu
revidieren. Anders als bei dem schon von Sloterdijk erwähnten
„Geburtenfatalismus”
der Vergangenheit müsse
sich der
eugenisch Manipulierte
instrumentalisiert
vorkommen; was nicht nur jedesmal persönliche Ressentiments
gegenüber den Designern und ihren Präferenzen
nach
sich ziehen könnte, sondern darüber hinaus ein Anschlag auf unser
Selbstverständnis als Gattungswesen wäre, einander nämlich als
Gleiche und autonome Wesen anzuerkennen.
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17
a.a.O., S. 56
18
Habermas spricht
von „intuitiven Selbstbeschreibungen, unter denen wir
uns als
Menschen
identifizieren und
von anderen Lebewesen unterscheiden – also das
Selbstverständnis von uns als Gattungswesen. Es geht nicht um die
Kultur, die überall anders ist, sondern um das Bild, das sich
verschiedene Kulturen von ,dem’ Menschen machen – der überall –
in anthropologischer Allgemeinheit – derselbe ist.”
A.a.O.
(Fußnote Nr. 7), S. 72. 19
a.a.O.,
S. 98
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