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IV Film und Kindheit
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VI GERMANISTICA


Stiersprung-Fresko aus Knossos; darunter zwei Rekonstruktionen des vermuteten Ablaufs

Schlangengöttinnen oder -priesterinnen aus Knossos; daneben Schnabelkanne mit Oktopusdekor
 https://en.wikipedia.org/wiki/Bull-Leaping_Fresco   http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/propylaeumdok/75/1/Panagiotopoulos_Stierspringen_2006.pdf


Am frühen Nachmittag sind wir von dem Lassíthi-Ausflug zurück und haben noch Zeit für das Archäologische Museum Iráklio (AMI). Von unserer Fahrtrichtung her ist das Museum nicht leicht anzusteuern, da wir nicht auf die höher gelegene Zubringerstraße zum Zentrum gelangen können und dann wie so oft in kretischen Städten keine Ausschilderungen mehr finden. Als wir endlich durch das Gewirr der Straßen und Gässchen den Museumsplatz erreichen, haben wir wegen der frühen Schließungszeiten gerade einmal 1 ½ Stunden Zeit, so dass kaum der Hälfte der 20 Aus­stellungsäume besichtigen können. Für die anderen Säle sind wir deshalb am letzten Reisetag noch einmal hierher gekommen.


Das in nur zwei Etagen angelegte Museum wirkt nicht immer übersichtlich, zumal es zugunsten regionaler Sammlungen immer wieder größere Zeitsprünge und -überlappungen gibt. Und doch: Welcher Reichtum an Exponaten, welch verspielte künstlerische Phantasie in diesen minoischen Zeiten, all diese surrealen Oktopusse, geschnäbelten Vasen, die Bügelkannen, das hauchdünne Geschirr und diese so eleganten, extrem taillierten Frauenfiguren, darunter die barbusigen Schlangengöttinnen oder -priesterinnen aus Knossos! Zu bewundern sind ferner Fayenceplättchen mit mehrstöckigen Hausfassaden, das Tonmodell eines minoischen Hauses, ein Helm aus Eberzähnen, der vielumrätselte Diskos von Phaistós und vor allem die großen Fresken im oberen Saal.

   Unter diesen Fresken mag einem so manches farblich aufgehübscht vorkommen, doch waren wir in dieser Hinsicht schon bei den Repliken in Knossos unsicher. Faszinierend, obgleich schon oft in Abbildungen gesehen, bleibt das Fresko mit dem Jüngling, der soeben auf waghalsig artistische Weise einen heranstürmenden Stier mit einem Salto überspringt und dabei von zwei an­deren Jünglingen unterstützt wird (wegen der Farbgebung hatte man sie früher meist für Frauen gehalten). Die erste der oben abgebildeten bewegungstechnischen Skizzen stammt von Arthur Evans und ist umstritten; Matadore und Rodeospezialisten fürs Niederringen des Stiers („Bulldogging”) hielten es für unmöglich, das Horn eines anrennenden Stiers so in den Griff zu bekommen und kontrolliert auf dem Rücken des Tiers zu landen. Eine plausiblere Darstellung dieses Ritualsprungs findet sich bei Diamantis Panagiotopoulos: „Der Akrobat sprang über die Hörner des an­lau­fen­den Stiers ohne sie  zu berühren , stützte sich mit den Händen auf der Schulterpartie des Tieres ab, vollführte einen Überschlag und landete hinter dem Stier auf dem Boden” (s. die zweite Abbildung).


Der kretische Stier hat sich uns längst als das Erkennungszeichen dieser Kultur abgezeichnet, speziell in seiner machtpolitisch spätere Überformung durch das griechische Mythologem um Zeus, der in Stiergestalt die phönizische Königstochter Europa nach Kreta entführte und hier in eigener Gestalt den Minos zeugte. Nach Lukian trug sich dies an Zeus’ Geburtsort zu, in der Diktäischen Höhle, während nach anderen Quellen unter der Platane von Górtys der Schauplatz war. Dieser Kretische Stier ist das mythologische Signum Europas, unserer Ur-Hochkultur mit den ersten Ge­setzgebern, (Toten-)Richtern sowie den dädalusgleichen Technikern und Künstlern

   P.S.: Nach jahrelanger Umgestaltung wurde das Museum im Frühjahr 2014 bei verlängerten Öffnungszeiten wieder eröffnet.


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