Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Diskos_von_Phaistos
Das
faszinierendste Fundstück aber ist der 1908 in einem ehemaligen
Archiv des älteren Palastbereichs entdeckte Diskos
von Phaistós,
den wir ebenfalls schon im AMI-Museum von Iráklio in einer
Sondervitrine betrachten konnten. Wegen seiner beweglichen Lettern
(Stempel) gilt er seit langem als das womöglich älteste Druckwerk
der Menschheit. Datiert wird er in der neueren Forschung öfter auf
die mittel- bis spätminoische Periode zwischen
1850-1550 v. Chr. Der Knossos-Entdecker Arthur Evans vermutete
Kleinasien als Herkunftsregion dieser Zeichen, zumal man die Stempel
selber nicht in Phaistós auffinden konnte. Evans stellte die
seitdem auch von etlichen anderen Archäologen vertretene Hypothese
auf, dass diese beidseitig gestempelte und dann gebrannte Scheibe
eine Hymne an eine Gottheit enthalte – möglicherweise
an die minoische
Schlangengöttin.
Die
45 unterschiedlichen, spiralförmig in die feuchte und später
gebrannte Tonscheibe gestempelten Hieroglyphen hat man allerdings
noch nicht zweifelsfrei entschlüsseln können. Über die
Stempelrichtung
herrscht mittlerweile weithin Einigkeit, nämlich vom Rand zum
Zentrum hin.
Die
Leserichtung
jedoch ist immer noch umstritten; meist setzt man auch sie als vom
äußeren Rand zum Zentrum hin verlaufend an. Eine schlichte
Überlegung aber spricht dagegen: Sofern man die bei aller
piktographischen Abstraktion noch gut kenntliche „realistische”
Bindung an Dinge und Lebewesen ernst nimmt, wird man – wie es schon
Arthur Evans und Luigi Pernier taten – vor allem die Lauf- und
Blickrichtung der Menschen und Tiere und auch die Richtung etwa der
(Pfeil-)Spitzen beachten und sehen, dass fast alle vom
Spiralenzentrum her rechtsläufig zum Rand hin gerichtet
sind.
Im
Unterschied zu diesen eher narrativ gehaltenen Deutungsansätzen
setzen andere die Diskos-Hieroglyphen primär als Zahlensymbole an
und interpretieren sie etwa als astronomische oder auch
astrologische Daten. Und nicht zuletzt sind da
zunehmend Stimmen, die das Ganze für ein Nonsense-Späßchen oder
auch schlicht für
eine Fälschung halten.
Letzteres wurde sogar dem Grabungsleiter Luigi
Pernier
unterstellt
und jüngst in einem populärwissenschaftlichen Dokumentarfilm ausgebreitet.
Pernier war übrigens an jenem Juliabend 1908 gar nicht anwesend in
der fraglichen „Kammer 8” des altpalastzeitlichen Nordosttrakts,
aus der ihm Arbeiter diese Tonscheibe mit der Behauptung brachten,
sie dort neben einem zerbrochenen Linear-A-Täfelchen und
Abfallresten gefunden zu haben. Der Hauptverdacht richtet sich gegen
seine beiden wichtigsten Mitarbeiter, die Schweizer Maler und
Restauratoren Emile
Gilliéron
sen.
und jun., die schon wegen ihrer oft willkürlichen
Rekonstruktionen
und
Reproduktionen von Knossos nicht den besten Ruf hatten.
Sicherlich
könnte eine naturwissenschaftliche Materialprobe die
Herstellungszeit der Scheibe festlegen, doch sperrt sich bislang das
zuständige AMI-Museum Iráklio dagegen. Selbst eine 2008 an die
griechische Regierung gerichtete Petition von Teilnehmern
einer internationalen Konferenz
zum Phaistós-Diskos,
die für eine Thermolumineszenz-Datierung plädierte, blieb bislang
unerhört. Man muss daher annehmen, dass die für Kreta
Verantwortlichen – auch
aus
guten, der archäologischen Weiterarbeit förderlichen finanziellen
Gründen – den stärksten Publikumsmagneten des Museums nicht
verlieren wollen und in Kauf nehmen, dass weiterhin
Hundertschaften von Hobbyforschern ihre Zeit mit der Enträtselung
des gefälschten Diskos vergeuden. Hinsichtlich der Echtheits- und
Wahrheitsfrage dürfte freilich ein waschechter Kreter
ohnehin kaum Skrupel haben, schließlich haben wir es hier ja
mit Phaistós zu tun, der Geburtsstadt des Epimenides.
Selbstverständlich
ginge es auch anders; so wurde die Himmelsscheibe von Nebra im
Berliner Teilchenbeschleuniger „Bessy” hinsichtlich der Herkunft
ihrer Goldauflagen materialschonend untersucht und hat diese
Prüfung bestanden (das Gold stammt aus einem Fluss in Cornwall). Und
sogar die fragile Büste der Nofretete hat man diversen
Materialuntersuchungen unterzogen und 2006 ein zweites Mal in einem
Computertomographen der Charité durchleuchtet; dabei stellte sich
heraus, dass unter dem sichtbaren Antlitz womöglich eine Gipsschicht
mit einer Vorgestaltung des Gesichts liegt.
Solange
aber für den Diskos von Phaistós noch archäometrische
Materialanalysen verweigert werden, sollte man dieses neue minoische
Labyrinth meiden und die Sache auf sich beruhen lassen.
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