GOETHES LETZTES JAHRZEHNT. WELTLITERATUR
____________________________________________________________________________________________
Bildquellen: www.willisch.eu/10_04_AnspracheBilder.html (David)
www.odysseetheater.com/goethe/goethe_35.htm (Sebbers)
die
ersten Heroldsrufe Carlyles und die Berichte, die Goethe von seinen
ausländischen Besuchern erhält. Der Europa durchstreifende
Fürst Pückler-Muskau tituliert ihn in dem 1831 veröffentlichten
Gespräch vom 15.9.1826 als »Geister-König«,
ja, er sei »nicht nur König, sondern sogar Despot, denn Sie reißen
ja ganz Europa gewaltsam mit sich fort«.
Und selbst der anachronistische Versuch seines Besuchers H.C.
Robinson, aus R. Burns Gedicht 'The
Vision'
Einflüsse von Goethes Zueignung herauszulesen, gibt noch die
Goethe-Zentrierung vieler europäischer Literaten zu erkennen. Die
für Goethe typische Haltung, die eigene Person ohne Koketterie für
ein Allgemeines zu nehmen oder dafür transparent zu machen, sehen
wir beiläufig noch einmal in seinem Dankschreiben vom 20.8.1831 an
David d'Angers, in dem er dessen 1829
in
Weimar modellierte, in Paris in Marmor ausgeführte Goethebüste als
einen »Beweis der Auflösung strenger Nationalgrenzen«
bezeichnet.
Auflösung
der Grenzen, Dämpfen des Eigennutzes und als Ergebnis eine
schonendere Behandlung der Gegner, das sind seine ersten
Erwartungen an die aufkommende Weltliteratur.
Schon
im Brief vom 20.7.1827 an Carlyle geht er näher darauf ein und
bemerkt auch, daß die Auflösung des Trennenden keine Auflösung der
Eigenheiten bedeute, vielmehr Geltenlassen
der Besonderheiten jeder Kultur und Literatur,
die wiederum nur im Durchscheinenlassen des Allgemeinen,
des Menschlichen von Belang sein könnten. Eine Dialektik, die auch
gewisse Gefahren enthält, speziell für die deutsche Literatur, die
erst durch die Aneignung des Fremden ihren Rang gewonnen habe, aber
bald schon die für sie so charakteristische Weiterentwicklung aus
sich selbst heraus verspielen könnte (vgl. dazu sein Schreiben vom
23.1.1827 an A.F.C. Streckfuß und meine Anmerkung in Bd. 37 der
Frankfurter Goethe-Ausgabe). Gegenwärtig allerdings
sei ihre Anziehungskraft unwiderstehlich. Wie einst die französische
Literatur durch Übersetzungen der klassischen Literaturen, so
habe nun erst recht die an Übersetzungen reichste deutsche Literatur
eine Schlüsselrolle erlangt, und zwar so universal, daß schon
das Erlernen der deutschen Sprache einen bequemen Zugang zur
Weltliteratur biete.
Wenn Goethe übrigens von den Gebildeten fordert, gegen
das Trennende nationaler Denkweisen den »Freihandel der Begriffe und
Gefühle« durchzusetzen
(wie
Odyniec am 25.8.1829 notiert), dann scheint für ihn damit auch eine
neue übernationale Solidarität verknüpft zu sein. Man sieht es
daran, wie hartnäckig er Byron in Schutz nimmt, sowohl gegen die
kleinlichen moralischen Vorwürfe seiner englischen Landsleute als
auch besonders gegen Plagiatsbezichtigungen,
die für Goethe ohnehin auf illusionären Vorstellungen literarischer
Autarkie beruhen. Und vergessen wir nicht, daß Goethe
seinerseits 1829 vom Pariser Globe
gegen
Angriffe des nationalistischen deutschen Literaten W. Menzel
verteidigt wurde.
- 21 -