GOETHES LETZTES JAHRZEHNT. BRIEFPARTNER
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Bildquelle: http://nd.edu/~carlyle/
Der
Altersbriefwechsel lebt freilich davon; und eben auch von der
Polarität ihrer Lebensweisen, von den Kontrastberichten
aus der »breiten, rauschenden und tönenden Welt« und aus der
gedankenreichen »klösterlichen« Abgeschiedenheit (9.6.1831 an
Zelter). Wie weit ihre Freundschaft übrigens selber schon diesem
Briefwechsel angehört, zeigt sich bei Zelters Besuchen in
Weimar: Mit der Aufhebung der fruchtbaren Distanz kommt ihnen auch
die persönliche Begegnung schal und trivial vor (wie sie nach dem
Septemberbesuch 1829 einander bekennen).
Die
andere bedeutende Korrespondenz dieses Jahrzehnts, deren
Veröffentlichung Goethe gleichzeitig mit der Zelterschen
Ende Mai 1823 vorzubereiten beginnt, ist keine zeitgenössische,
sondern Goethes
Briefwechsel mit Schiller.
Sein Name fällt in diesen letzten Briefen und Gesprächen
häufig wie nie seit 1805. Klagen über den Verlust des Freundes
wechseln mit Betrachtungen über das weithin Erfolglose ihres
literarisch-polemischen Bündnisses und über das Vergeuden von so
viel Mühe und Talent. Goethes Appelle, sich diese kaum noch
erinnerbare Epoche durch den Briefwechsel zu vergegenwärtigen,
zielen daher nicht auf die bare historische Dokumentation, sondern
auf die Relativierung dieser wie jeder Zeitgenossenschaft; richten
sich exemplarisch
gegen Forderungen und Erfolge der Gegenwart,
die zu vergötzen er Schiller selber einmal in einer unterdrückten
Konzeptfassung vorhält, in der Kritik
nämlich an dessen »Maxime daß nur der Lebende Recht hat«
(21.6.1825
an Süvern). Daß Goethe zugleich das Nutzen von Tag und Stunde
fordert, steht dazu nicht im Widerspruch. Nur so, in der
Konzentration auf die stille Konsequenz und die unbeachteten
Möglichkeiten der Gegenwart, gibt es für ihn jene geistige
›Ewigkeit‹, von der noch im Zusammenhang mit seiner
›Entelechie‹-Gläubigkeit, seinem
›Hypsistarier‹-Bekenntnis oder seiner Verehrung der ›Tüchtigen‹
als einer neuen Gemeinschaft von ›Heiligen‹
zu
reden ist. In Schillers Person treffen diese zeitüberschreitenden
Tendenzen zusammen und werden auch kultisch erhöht; das
Zeremoniell, einigen Freunden den Schädel Schillers zur
Kontemplation vorzulegen, gehört ebenso dazu wie Goethes Plan
einer gemeinsamen Grabstätte.
Unter
den neuen Briefpartnern des letzten Jahrzehnts gilt seine besondere
Zuneigung zwei an der Peripherie lebenden Repräsentanten ihres
Kulturraums, dem noch weithin unbekannten Schotten Thomas
Carlyle
in
der Einöde von Craigenputtoch
bei Dumfries und dem Grafen Sternberg auf seinem nordböhmischen
Schloß Brzezina. Geschenke und Gegengeschenke
überbrücken die äußere Isolation des jungen Ehepaares Carlyle,
speziell die von Weimar über das Hamburger Handelshaus Parish &
Comp, laufenden Kisten mit den
jüngsten Lieferungen der
'Ausgabe
letzter Hand', Heften von
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