RÜCK- UND AUSBLICK
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all
das abzuwehren, individuell und in Solidarität, was diese
existentielle Beweglichkeit über ein vertretbares Maß hinaus
einschränken würde. Als
geistige Hauptquelle solch fremdbestimmter Einschränkungen begriff
man in der abendländischen Neuzeit immer deutlicher die christliche
Theologie,
sofern sie den Menschen auf einen göttlichen Schöpfer zurückbezog,
der seine Kreaturen ein für allemal festgelegt hätte und diese
Festlegung zudem über Gebote und Verbote zu sanktionieren
trachte. Die neuzeitliche Emanzipation von den überlieferten
theologisch-dogmatischen Wesensbestimmungen
des Menschen konnte sich zunächst nur im Rahmen einer selber
theologisch argumentierenden Reflexion bewegen.
Pico
della Mirandola war
der erste, der – in noch jugendlicher Unbefangenheit – diesen
prekären Weg einschlug. In seiner 1486/87 verfassten Oratio (Rede
über die Würde des Menschen) ist es niemand anders als der
göttliche Schöpfer selbst, der den Menschen in die Verantwortung
entlässt und ihm dazu die Freiheit des Willens1
einräumt. Das
Wesen des Menschen lasse
sich zudem nicht in einer besonderen ausgezeichneten Eigenschaft wie
seiner Intellektualität oder Geistigkeit
ansetzen, sondern einzig
in einer Nichtdeterminiertheit oder Offenheit,
die es ihm erlaubt, zugleich an allen anderen Lebewesen teilzuhaben.
Als ein Mikrokosmos kann er dem gesetzlich geregelten Makrokosmos
gestalterisch gegenübertreten, kann dafür aber auch
ins Tierische oder in eine pflanzengleiche Existenz „entarten”.2
Denn für Pico sollte der
Mensch als „Former und Bildner seiner selbst”
seinen höheren Möglichkeiten
folgen, sollte beflügelt sein durch den „heiligen
Ehrgeiz”, das Irdische zu verschmähen und Stufe um Stufe auf der
Himmelsleiter zu erklimmen.3
Steht Pico damit ontologisch und
ethisch noch in der christlich-neuplatonischen Tradition einer
Hierarchie der Seinsformen, so leitet er doch in anthropologischer
Sicht den subtilen Ausbruch aus jeder dogmatisch verpflichtenden
Theologie ein: Der
Mensch kann und muss sich frei entscheiden,
was er
aus sich und dem ihm Überlieferten macht.
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